Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitverschulden an einem Reitunfall; Reitbeteiligung und minderjährige Reiter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Berechtigte aus einer Reitbeteiligung wird regelmäßig nicht sogleich zum Tierhalter, insbesondere nicht, wenn er das Tier im Gelände nicht allein reiten darf.

2. Für minderjährige Reiter ist im Hinblick auf ein Mitverschulden an einem Reitunfall nur eine ihrem Alter und Reiterfahrung entsprechende Sorgfalt zu erwarten.

3. Der Berechtigte aus einer "Reitbeteiligung" wird in der Regel erst dann zum Tierhüter i.S.v. § 834 BGB, wenn er ein Pferd ohne Begleitung im Gelände reiten darf und er hierüber selbständig bestimmen darf.

4. Eine dem Tierhüter vergleichbare Stellung nimmt ein Reiter ein - ohne Tierhüter zu sein, wenn er wie ein Tierhüter auf das Tier Einfluss nimmt. Im Einzelfall kann dies zu verneinen sein, wenn der Tierhalter es aufgrund des Alters, Körpergröße, Körperbeherrschung oder Reiterfahrung des Reiters nicht verantworten möchte, dass dieser das Pferd im Gelände allein reitet.

5. Die Zurechnung des Verhaltens der gesetzlichen Vertreter für ein Mitverschulden bei der Entstehung des schädigenden Ereignisses (§ 254 I BGB) setzt bei einer lediglich gesetzlichen Schadensersatzpflicht ein bereits bestehenden Schuldverhältnis voraus, das besondere Pflichten für den Geschädigten enthält, den eingetretenen Schaden auch im Interesse des Haftenden zu vermeiden.

 

Normenkette

BGB §§ 254, 278, 833-834, 1664

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2-5 O 327/07)

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um Ansprüche der Klägerin aufgrund eines Reitunfalls.

Die Klägerin ritt bereits seit ihrem 6. Lebensjahr regelmäßig und verfügte über hervorragende altersgemäße Reitkenntnisse. Die Beklagte ist Eigentümerin und Halterin zweier Reitpferde. Im Februar 2007 vereinbarte die Mutter der damals 12jährigen Klägerin mit der Beklagten eine "Reitbeteiligung", wonach die Klägerin gegen Beteiligung an den Unterhaltskosten i.H.v. monatlich 70, EUR regelmäßig ein Pferd der Beklagten sollte reiten dürfen. Anfang März 2007 wurde dieser Betrag erstmals gezahlt. Ab dem 10.2.2007 ritt die Klägerin das Pferd "X" der Beklagten regelmäßig etwa 2 bis 3 mal wöchentlich und zwar auch im Gelände. Dabei hatte sie das Pferd bei allen drei Grundgangarten stets unter Kontrolle. Bei sämtlichen Ausritten ritt die Klägerin ausschließlich auf dem Pferd "X" und in Begleitung der Beklagten; lediglich bei den Reitstunden der Klägerin war die Beklagte nicht anwesend.

Darüber hinaus half die Klägerin ab dem 10.2.2007 häufig bei der Versorgung des Pferdes.

Am 11.3.2007 ritten die Parteien, die Klägerin auf dem Pferd "X", gemeinsam aus. Die Klägerin trug ordnungsgemäß Helm und Sicherheitsweste. Als sie sich gegen 13.40 Uhr gerade auf einem unbefestigten Feldweg in der Gemarkung ... befanden, näherte sich in etwa 50 Meter Entfernung ein Traktor. Dies veranlasste beide Pferde nahezu gleichzeitig, zu scheuen und auf dem Feldweg los zu galoppieren. Während es der Beklagten gelang, ihr Pferd nach einigen Metern zum Stehen zu bringen, galoppierte das Pferd "X" mit der Klägerin weiter, bis es nach etwa 70 Metern auf einen quer zum Feldweg verlaufenden asphaltierten Weg kam, dabei mit den Hinterbeinen wegrutschte und dort mit seinem gesamten Gewicht auf die Klägerin stürzte. Zwischen den Parteien ist streitig, wie die Klägerin auf das Durchgehen des Pferdes reagiert hatte. Unstreitig ist nach dem Vortrag der Parteien, dass die Klägerin hätte parieren müssen, mithin nach dem reiterlichen Sprachgebrauch, sich aufrecht hinsetzen und an den Zügeln hätte ziehen müssen. Ob die Klägerin ihr Pferd zum Stehen hätte bringen können, wenn sie in diesem Sinne reagiert hätte, ist wiederum streitig.

Durch den Reitunfall erlitt die Klägerin schwerste Verletzungen insbesondere des Schädels. Die Klägerin befindet sich im Wachkoma. Eine Kommunikation mit der Klägerin ist nicht möglich. Die Klägerin wird Zeit ihres Lebens pflegebedürftig bleiben.

Die Klägerin hat behauptet, sie habe, nachdem das Pferd "X" losgaloppiert sei, ordnungsgemäß pariert, damit aber keinen Erfolg gehabt und auch nicht haben können. Sie habe auch versucht, das Pferd in eine Kurve einzulenken, woraufhin das Pferd sich auch bereits verlangsamt und auf dem Acker eine Kurve gezogen habe. Jedoch sei dann der asphaltierte Weg in die Quere gekommen, auf dem das Pferd weggerutscht sei.

Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin habe sich, als das Pferd "X" losgaloppiert sei, nach vorne fallen lassen und die Zügel locker gelassen, obwohl die Beklagte ihr zugerufen habe, sie solle gerade sitzen, das Pferd zurückreißen, im Kreis reiten und sich zurücklehnen. Die Klägerin habe diese Anweisungen nicht befolgt.

In der ersten Instanz hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung persönlich angehört erklärt, die Klägerin sei nicht alleine, also nicht unbeaufsichtigt geritten; weil die Klägerin minderjährig gewesen sei, habe auch immer ein Erwachsener gegenwärtig sein müssen. Es sei geplant gewesen, dass die ...

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