Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Haftung der Erben des Verstorbenen gegenüber dem Lokführer bei Suizid auf Bahngleisen

 

Leitsatz (amtlich)

Begeht eine Person auf Bahngleisen einen Suizid, haften ihre Erben dem involvierten Lokführer nicht auf Schadenersatz, wenn der Verstorbene zum Zeitpunkt des Suizids und damit der Schadenszufügung nicht schuldhaft gehandelt hat.

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Urteil vom 06.09.2019; Aktenzeichen 3 O 182/16)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wiesbaden vom 6.9.2019 - Az. 3 O 182/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf EUR 111.562,12 festgesetzt.

 

Tatbestand

I. Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht ihres Bediensteten, A, gegen die Beklagten als Erben ihres verstorbenen Sohnes, B, Schadensersatzansprüche nach einem Bahnunglück geltend.

Wegen des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage abgewiesen.

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit welcher sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren vollumfänglich weiterverfolgt. Sie rügt zunächst, dass die vom Landgericht herangezogenen Umstände zur Annahme eines Suizids des Verstorbenen nicht Ergebnis einer Beweisaufnahme seien, sondern sich aus einer Auswertung der vom Gericht zu Beweiszwecken herangezogenen Ermittlungsakte ergäben. Ein Abschiedsbrief des Verstorbenen liege nicht vor. Dann aber verbleibe es, unabhängig davon, ob ein Suizid folge oder nicht, bei einem verbotenen Betreten der Gleisanlage, wobei sie, die Klägerin, davon ausgehe, dass dieses zumindest fahrlässig erfolgt sei.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts könnten sich die Beklagten zur Abwendung ihrer Haftung nicht erfolgreich auf § 827 Satz 1, 2. Alt. BGB beziehen; denn diese hätten nicht den Nachweis erbracht, dass sich der Verstorbene bei Schadenszufügung in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe und damit nicht verantwortlich gewesen sei. Die Berufung verweist darauf, dass der Sachverständige erst nach mehrfachen Revidieren und Abrücken seiner zunächst bestehenden Auffassung, ein solcher Zustand liege nicht vor, zu der gegenteiligen Aussage gelangt sei. Dies sei nicht nachvollziehbar und werde bestritten. Des Weiteren sei zu sehen, dass die Beklagten den Beweis, dass es sich um einen Suizid gehandelt habe, nicht geführt hätten. Dann aber sei der Sachverständige schon von falschen Anknüpfungstatsachen ausgegangen. Zudem habe ein gemäß § 827 Satz 1, 2. Alt. BGB zu bewertendes Krankheitsbild des Verstorbenen nicht festgestellt werden können. Es habe keine erheblichen Anhaltspunkte für ein psychiatrisches Krankheitsbild vor dem Unfall gegeben. Der Sachverständige habe nicht einmal eine Diagnose für den Gesundheitszustand des Verstorbenen vor dem Unfall stellen könne. Er habe den Verstorbenen nie kennengelernt, es gebe keinerlei Behandlungsunterlagen über ihn aus der Zeit vor dem Unfall, die dem Sachverständigen eine Aktenauswertung ermöglicht hätten. Seine Ausführungen basierten auf Vermutungen und allgemeinen Erwägungen, die allesamt nicht sachverhaltsbezogen seien. Die von ihm gegebene Erklärung, dass Suizidanten sich häufig nicht vor der Begehung des Suizids in psychiatrischer Behandlung befänden, überzeuge nicht. Der Sachverstände habe allein ex post abstrakt ausgeführt, dass jeder Suizidant in einem Zustand des § 827 Satz 1 BGB sei; dies sei für sich genommenen haltlos. Vielmehr bedürfe es der Prüfung jedes Einzelfalls. So habe der Verstorbene vor dem Schadensereignis ganz regulär die Schule besucht und einen Freundeskreis unterhalten. Niemand habe Behandlungsbedürftigkeit gesehen; offenbar sei er nicht weiter auffällig gewesen. Auch seine Freundin habe seine ihr gegenüber geäußerten suizidalen Gedanken nicht ernst genommen, da sie andernfalls sicher Hilfe von Dritten eingeholt hätte.

Es sei davon auszugehen, dass der Verstorbene eine Entscheidung getroffen und sich auf die Gleisanlage begeben habe, wobei letztlich unklar geblieben sei, warum er dieses getan habe. Es sei aus nichts heraus zu erkennen, dass der Verstorbene nicht genau gewusst habe, was er beim Betreten des Bahngeländes getan habe. Selbst wenn er die Gefahr gesucht habe, habe er um diese gewusst. Auch bei Annahme eines Suizids habe der Verstorbene dieses Vorhaben durch eine gezielte und überlegte Handlung erreicht. Ein äußerer oder innerer Zwang bzw. ein Krankheitsbild, das ihn dazu gezwungen habe, sei nicht aktenkundig. Die Entscheidung des Verstorbenen, sich auf die Gleise zu begeben, sei auch insoweit vernunftgetragen gewesen, als insoweit ein probater Weg gewählt worden sei, um einen Selbstmord zu begehen. Angesichts des planvollen Verhaltens...

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