Entscheidungsstichwort (Thema)

Sachverständigenablehnung im Umgangsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Betreffen inhaltliche Mängel eines Sachverständigengutachtens beide Parteien gleichermaßen, lässt sich daraus keine Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen ableiten.

2. Interaktionsbeobachtungen der Kinder mit den Eltern stellen selbst nach vorläufigem Umgangsausschluss eine Informationsquelle dar, die vom Sachverständigen im Umgangsverfahren genutzt werden kann.

3. Wenn der Sachverständige die Eltern zu Kooperation und Verantwortungsübernahme auffordert, um Optionen offen zu halten, begründet das nicht die Besorgnis der Befangenheit.

 

Normenkette

FamFG § 30 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2, § 406 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Gießen (Beschluss vom 30.10.2019; Aktenzeichen 241 F 413/19 UG)

 

Tenor

Die sofortige Beschwerde wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

 

Gründe

In einem Umgangsverfahren hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 13.03.2019 die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens zur Prüfung der Kindeswohldienlichkeit von Umgangskontakten zwischen dem Kindesvater und dem am XX.XX.2013 geborenen Sohn der beteiligten Eltern beschlossen und zum Gutachter Herrn Dipl. Psych., Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut und psychologischer Psychotherapeut A bestimmt.

Nachdem es jeweilige Einzeltreffen mit den Eltern und einen Hausbesuch bei der Kindesmutter gegeben hatte sowie ein Untersuchungstermin in der Praxis des Sachverständigen, an dem das Kind und die Kindesmutter teilnahm, stattgefunden hatte, sollte es zu einem Treffen des Kindes mit seinem Vater in der Praxis des Sachverständigen kommen. Zu einem solchen Termin kam es nicht. Nach Angaben der Kindesmutter habe das Kind sehr stark auf den auf ihn durch den Sachverständigen ausgeübten Druck reagiert und sich geweigert, den Termin mit seinem Vater wahrzunehmen.

Mit Schreiben vom 02.09.2019 hat die Kindesmutter den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, da Äußerungen des Sachverständigen und auch seine Vorgehensweise in mannigfacher Hinsicht die erhebliche Besorgnis bergen, dass das Gutachten unkorrekt, unter Missachtung grundlegender, für eine Begutachtung erheblicher Grundsätze, erstellt würde. Der Sachverständige würde die Grundsätze der Begutachtung nicht beachten, er nehme Manipulationen vor und übe Zwang und Druck auf die Kindesmutter und das Kind aus, indem er äußere, dass es der Kindesmutter negativ ausgelegt werde, wenn sie es nicht schaffe, das Kind zu einem Termin mit seinem Vater zu bringen. Im Übrigen setze er sich durch die Vereinbarung eines Termins zur Interaktionsbeobachtung zwischen Vater und Kind über den vom Amtsgericht am 14.3.2019 beschlossenen Umgangsausschluss in unzulässiger Weise hinweg, so dass aus diesen Gründen das Gutachten nicht verwertbar wäre.

Das Amtsgericht hat nach Einholung einer Stellungnahme des Sachverständigen und nach Stellungnahmen der Verfahrensbeiständin und des Kindesvaters mit angefochtenen Beschluss vom 30.10.2019 den Antrag der Kindesmutter auf Ablehnung des Sachverständigen zurückgewiesen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Kindesmutter, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

Die gemäß § 30 Abs. 1 FamFG i.V.m. §§ 406 Abs. 5, 567 ff. ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde der Kindesmutter hat keinen Erfolg, denn die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ablehnung des Sachverständigen Herrn A wegen Besorgnis der Befangenheit liegen nicht vor. Das Amtsgericht hat aus zutreffenden Erwägungen den Antrag der Kindesmutter auf Ablehnung des Sachverständigen zurückgewiesen.

Ein Sachverständiger kann nach §§ 30 Abs. 1 FamFG, 406 Abs. 1 ZPO aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn Gründe vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit zu rechtfertigen, sind objektive Gründe, die vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Sachverständige stehe der Sache nicht unvoreingenommen gegenüber (BGH MDR 2013, 164).Nicht erforderlich ist, dass der Sachverständige tatsächlich befangen ist. Allein entscheidend ist, ob aus Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an dessen Unvoreingenommenheit zu zweifeln. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge eines Verfahrensbeteiligten scheiden als Ablehnungsgrund hingegen aus (BGH MDR 2003, 892). Werden mehrere Gründe für die Ablehnung geltend gemacht, so sind sie nicht nur jeder für sich, sondern auch in ihrer Gesamtheit darauf zu prüfen, ob sie den Ablehnungsantrag rechtfertigen (OLG Düsseldorf ZKJ 2017, 238; MüKoZPO/Zimmermann, 5. Aufl., § 406 Rn. 4).

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe liegen keine Gründe vor, die geeignet sind, Misstr...

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