Entscheidungsstichwort (Thema)

VW-Dieselskandal: Keine Befangenheit einer Richterin, die sich in eigener Sache einer Musterfeststellungsklage gegen VW beteiligt hat

 

Verfahrensgang

LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 19.02.2020; Aktenzeichen 2 O 201/19)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 25.03.2021; Aktenzeichen III ZB 57/20)

 

Tenor

Das gegen die Berichterstatterin, Richterin am Oberlandesgericht A, gerichtete Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 24.07.2020 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

 

Gründe

I. In dem zugrundeliegenden Verfahren nimmt die Klägerin die Beklagte als Herstellerin eines PKW, Marke VW Touareg V6, auf deliktischer Grundlage auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einem Neuwagenkauf in Anspruch.

Die Klägerin bestellte bei der Beklagten gemäß Auftragsbestätigung vom 24.09.2015 (Bl. 83 f. d.A.) einen fabrikneuen VW Touareg V6 TDI zum Bruttokaufpreis von EUR 71.497,75 und schloss zugleich mit der Bank1 einen Darlehensvertrag über dieses Fahrzeug ab (Bl. 25, 26 d.A.).

Unstreitig ist in dem Fahrzeug ein Motor des Typs EA 897 eingebaut.

Die Klägerin behauptet, der in dem Fahrzeug eingebaute Motor sei mit mehreren unzulässigen Abschaltautomatiken (u.a. sog. "Thermofenster") ausgestattet, weshalb ihr unter dem Gesichtspunkt einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung die geltend gemachten Schadensersatzansprüche zu stünden.

Das Landgericht hat die auf Rückzahlung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs sowie weiteren Schadensersatz gerichtete Klage mit Urteil vom 19.02.2020 (Bl. 218 ff. d.A.) abgewiesen.

Für das gegen dieses Urteil gerichtete Rechtsmittel der Klägerin ist nach der Geschäftsverteilung des Senats Richterin am Oberlandesgericht A als Berichterstatterin zuständig. Diese hat unter dem 29.06.2020 angezeigt (Bl. 419 d.A.), sich der im Zusammenhang mit der bekannten Motorsteuerungsproblematik bei Motoren des Typs EA 189 vor dem Oberlandesgericht Braunschweig zu Az.: 4 MK 1/18 geführten Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte angeschlossen und in dem dortigen Verfahren mit der Volkswagen AG einen Vergleich abgeschlossen zu haben.

Hierauf hat die Beklagte die Berichterstatterin mit Schriftsatz vom 24.07.2020 wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt.

II. Das Befangenheitsgesuch der Beklagten, über das der um den geschäftsplanmäßigen Vertreter ergänzte Spruchkörper des Senats zu entscheiden hat (§ 45 Abs. 1 ZPO), ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Dies ist dann der Fall, wenn aus Sicht des Ablehnenden bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass gegeben ist, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung der Richterin zu zweifeln. Nicht erforderlich ist dagegen, dass tatsächlich eine Befangenheit vorliegt. Vielmehr genügt es, dass die aufgezeigten Umstände geeignet sind, der betroffenen Partei Anlass zu begründeten Zweifeln zu geben; denn die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und Objektivität zu vermeiden (st. Rspr., vgl. zuletzt etwa BGH, Beschluss vom 27. Februar 2020 - III ZB 61/19 -m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben ist vorliegend bei vernünftiger Würdigung aller Umstände auch aus Sicht der Beklagten kein Anlass zu begründeten Zweifeln an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Richterin ersichtlich.

Ein eigenes wirtschaftliches Interesse der abgelehnten Richterin am Ausgang des hiesigen Rechtsstreits ist nicht erkennbar. Durch die Annahme des von Seiten der Volkswagen AG im Rahmen der Musterfeststellungsklage angebotenen Vergleichs hat das Verfahren seinen Abschluss gefunden. Weitergehende Ansprüche gegen die Beklagte aus der den Motor EA 189 betreffenden "Diesel-Problematik", die gerade nicht den hier streitgegenständlichen Motor des Typs EA 897 betrifft, sind damit ausgeschlossen. Es ist in keiner Weise plausibel oder einsichtig, aus welchen Erwägungen sich bei dieser Sachlage ein eigenes wirtschaftliches Interesse der abgelehnten Richterin am Ausgang des hiesigen Rechtsstreits ableiten lassen sollte.

Auch der von der Beklagten zur Begründung des Ablehnungsgesuchs in den Vordergrund gerückte Aspekt einer vergleichbaren Fallgestaltung führt nicht zu der objektiv begründeten Befürchtung, die Richterin habe sich infolge eigener Berührung mit dem "Diesel-Skandal" auch für die Würdigung der hier betroffenen Fallgestaltung bereits vorfestgelegt.

Allgemein ist das geltende Verfahrensrecht von dem Gedanken geprägt, dass ein Richter grundsätzlich auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat; jedoch ermöglicht das Ablehnungsverfahren nach § 42 ff. ZPO daneben die Berücksichtigung von besonderen Umständen des Einzelfalles (BGH, NJW-RR ...

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