Leitsatz (amtlich)

›Zu den gesetzlichen Voraussetzungen für die Anforderung und den Abgleich personenbezogener Daten (Rasterfahndung) in Hessen (§ 26 Abs. 4 S. 1 HSOG).‹

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Entscheidung vom 06.02.2002; Aktenzeichen 4 T 707/01)

AG Wiesbaden (Aktenzeichen 71 Gs-531/01)

 

Gründe

Am 24. September 2001 beantragte das ... Landeskriminalamt, der Beteiligte zu 1), bei dem Amtsgericht Wiesbaden nach § 26 Abs. 1 und 4 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) anzuordnen, dass die Meldebehörden des Landes ..., die ... Universitäten und Hochschulen sowie das Luftfahrtbundesamt verpflichtet sind, ihm von näher bestimmten Personengruppen automatisiert gespeicherte personenbezogene Daten, nämlich Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort und Anschrift zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen (Rasterfahndung) zu übermitteln.

Der Beteiligte zu 1) begründete seinen Antrag im wesentlichen mit einer nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 anzunehmenden Gefährdungssituation im Falle eines Militärschlages gegen Ziele in Afghanistan und/oder Unterstützerstaaten.

Mit Beschluss vom 25. September 2001 gab das Amtsgericht Wiesbaden dem Antrag in vollem Umfang statt. Über die Entscheidung wurde in der Presse berichtet (vgl. juris - Pressemitteilungen Justiz/dpa, Stichwort: Rasterfahndung).

Am 15. Oktober 2001 legte der Beteiligte zu 2) gegen den amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde ein. Er sieht in der Übermittlung von Daten an den Beteiligten zu 1), die seine Person betreffen, einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Das Landgericht Wiesbaden hat mit Beschluss vom 14. November 2001 die nach den §§ 26 Abs. 4 Satz 2, 39 Abs. 1 Satz 3 HSOG, 19 FGG an sich statthafte Beschwerde mangels Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 2) als unzulässig angesehen und zurückgewiesen. Auf die dagegen gerichtete weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) hat der Senat den landgerichtlichen Beschluss am 8. Januar 2002 aufgehoben und die Sache an das Landgericht zur neuen Prüfung und Entscheidung zurückverwiesen (20 W 479/01).

Durch Beschluss vom 6. Februar 2002 hat das Landgericht die amtsgerichtliche Anordnung aufgehoben.

Mit der am 8. Februar 2002 eingegangenen weiteren Beschwerde wendet sich der Beteiligte zu 1) gegen die landgerichtliche Entscheidung.

Die weitere Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg; denn der angefochtene Beschluss beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§§ 27 FGG, 546 ZPO).

Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 8. Januar 2002 u.a. darauf hingewiesen, dass seit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 (BVerfGE 65, 1, 41 ff) geklärt ist, dass der Einzelne das Recht hat, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich festgestellt, dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit unter den modernen Bedingungen der Datenverarbeitung den Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten voraussetzt, dass dieser Schutz daher von dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG umfasst ist und dass das Grundrecht insoweit die Befugnis gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (BVerfGE aaO S. 43).

In den Polizeigesetzen der Länder sind bestimmte staatliche Eingriffe in Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte unter einen Richtervorbehalt gestellt. Dies ist auch in Hessen der Fall, z.B. in den §§ 15 Abs. 4 und 5, 16 Abs. 1 und 5, 26 Abs. 1 und 4, 33 HSOG. Für das Verfahren verweist § 39 Abs. 1 Satz 2 HSOG auf das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG). Mit dieser Verweisung hat der Gesetzgeber die Verantwortung für die staatlichen Eingriffe auf die ordentlichen Gerichte übertragen und zugleich besondere Verfahrensregeln vorgegeben. So sieht das FGG für das gerichtliche Verfahren nicht nur drei Instanzen vor, sondern verpflichtet die Tatsacheninstanzen (Amtsgericht und Landgericht) u.a. zu Amtsermittlungen (§ 12 FGG). Die Tatsachengerichte dürfen sich nicht auf Plausibilitätsprüfungen beschränken, sondern müssen selbst die Tatsachen feststellen, die eine richterliche Anordnung rechtfertigen (vgl. zu dem Prüfungsumfang bei einer richterlichen Anordnung polizeilichen Gewahrsams nach dem HSOG: BVerfGE 83, 24 = NJW 1991, 1283).

Mit der Übertragung der Entscheidungskompetenz und Verantwortung auf die Gerichte ist zugleich die Erwartung verbunden, dass sich die zur Entscheidung berufenen Richterinnen und Richter - auch in Krisenzeiten - nicht von eigenen Emotionen oder Emotionen anderer, sondern ausschließlich vom Gesetz leiten lassen (Art. 20 Abs. 3, 92, 97 Abs. 1 GG, §§ 25, 38 DRiG).

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 HSOG können die Polizeibehörden nach richterlicher Anordnung (§ 26 Abs. 4 Satz 1 HSOG) von ...

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