Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnungseigentumssache: Sondereigentum an Tiefgarage als "letztem Rettungsweg" sowie Augenscheinseinnahme durch blinden Richter

 

Verfahrensgang

AG Wiesbaden (Aktenzeichen 33 UR II 15/90)

LG Wiesbaden (Aktenzeichen 4 T 327/91)

 

Tenor

Die weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde hat der Antragsteller zu tragen; außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Wert, auch für das landgerichtliche Beschwerdeverfahren nach der Zurückverweisung: 25.000,00 DM.

 

Gründe

Die zulässige weitere Beschwerde ist in der Sache nicht begründet. Der angefochtene Beschluß beruht nicht auf einer Gesetz es Verletzung, worauf allein er nachzuprüfen war. Die Feststellung des Landgerichts, daß auch der Duldungsantrag der Beteiligten zu 2. begründet ist (§ 21 IV WEG), weist keine Rechtsfehler auf. Das Landgericht durfte nach der durchgeführten Beweisaufnahme, nämlich nach dem Augenscheinstermin vom 17.06.1993, davon ausgehen, daß die Garage auch aus wohnungseigentumsrechtlicher Sicht sondereigentumsfähig (§ 5 II WEG) und die Beteiligte zu 2. Teileigentümerin der Garage geworden ist.

Die verfahrensrechtlichen Beanstandungen des Antragstellers sind nicht gerechtfertigt.

Soweit die Antragsteller deswegen die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Landgerichts rügen, weil der Vorsitzende der Beschwerdezivilkammer blind ist (§§ 27 I 2 FGG, 551 Nr. 1 ZPO), Kann dem vorliegend nicht gefolgt werden.

Es fehlt an Vorschriften darüber, ob und inwieweit Richter, die an körperlichen Gebrechen leiden, geeignet und fähig sind, ihr Amt auszuüben. Diese Frage wird für den blinden Richter im Strafverfahrensrecht im Hinblick auf die §§ 261, 338 Nr. 1 StPO kontrovers diskutiert (verneinend für den Beisitzer im Falle des Augenscheins: BGH NJW 87, 1210; verneinend für den Vorsitzenden der erstinstanzlichen Strafkammer: BGH NJW 88, 1333 = NStZ 88, 374 mit zust. Anm. von Fezer; bejahend für den Vorsitzenden der Großen Berufungsstrafkammer: OLG Zweibrücken MDR 91, 1083 mit zust. Anm. von Schulze; OLG Zweibrücken MStZ 92, 50; bejahend unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten; BVerfG MStZ 92, 246; bejahend Schulze MDR 88, 736). Im Zivilrecht sind dagegen nur wenige den blinden Richter betreffende Entscheidungen bekannt geworden. Das RG (RGZ 124, 153) hat die Mitwirkung eines blinden Richters unter den gegebenen Umständen für zulässig gehalten. Das OLG Frankfurt (MDR 54, 368) hat gegen die Beteiligung eines blinden Richters im Beschwerdeverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine Bedenken erhoben. Der BGH (BGHZ 38, 347 (hat schließlich in einer Entscheidung dazu, ob ein Blinder zum Notar bestellt werden kann, auch ausgeführt, daß ein blinder Richter seine Aufgabe dann nicht mehr wahrnehmen kann, wenn er sich einen auf persönlicher Wahrnehmung beruhenden Eindruck vom Aussehen einer Person oder Sache machen muß.

Nach Auffassung des Senats kann auch im Falle einer Augenscheinseinnahme nicht generell davon ausgegangen werden, daß der blinde Richter an der Mitwirkung gehindert sei. Es ist vielmehr deswegen eine differenzierende Betrachtung des Einzelfalls geboten, weil der Blinde erfahrungsgemäß den Verlust des Augenlichts durch die Stärkung und Verfeinerung der anderen Sinne und die Zunahme des Gedächtnisses ausgleichen kann (BGHZ 38, 347/348; OLG Frankfurt MDR 54, 368). Schulze (MDR 88, 736/741) hat eindrucksvoll dargelegt, daß und wie auch die Augenscheinseinnahme gestaltet werden kann, so daß die Mitwirkung eines blinden Richters nicht ausgeschlossen ist. Insoweit kommt nicht nur – beim Kollegialgericht – die Übertragung des Augenschein auf den beauftragten Richter (§§ 15 FGG, 372 II ZPO), sondern bei der Vorlage von Lichtbildern auch deren Beschreibung in Betracht. Die Grenze ist nach Meinung des Senats dort zu ziehen, wo die Betrachtung mit eigenen Augen für die Entscheidungsfindung unerläßlich ist, weil die Wahrnehmung mit dem Auge ebenso bedeutsam ist wie sonst die mit dem Gehör (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 13. Aufl. § 7 Rn. 43; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 7 Rn. 18; Schulze MDR 88, 736/743). Diese Grenze ist vorliegend nicht erreicht worden (vgl. auch Senat in 20 W 30/94 von 19.04.1994 = OLG-Report Frankfurt 1994, 166).

Auch der blinde Richter kann wegen der besonderen Ausprägung seiner übrigen Sinne für Wege und Räume sinnlich wahrnehmen, ob eine Treppe angenehm zu begehen und ob ein Raum beengend ist oder nicht. Im übrigen haben sich die beiden Beisitzer der Kammer als „Augenscheinsgehilfen” betätigt. Bei dieser Sachlage war der Augenschein im wörtlichen Sinne durch einen dritten sehenden Richter nicht erforderlich, so daß eine fehlerhafte Besetzung des Gerichts hier nicht gerügt werden kann (§ 551 Nr. 1 ZPO). Die vom Antragsteller zitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf (NJW 67, 454) ist nicht einschlägig, da sie nicht den blinden Richter betrifft. Mit dieser Rechtsauffasung weicht der Senat nicht in einer Weise von der Entscheidung des BGH (BGHZ 38, 347) ab, die ihm zur V...

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