Leitsatz (amtlich)

Die Strafbarkeit eines Ausländers, der sich ohne Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung in der Bundesrepublik aufhält, entfällt nicht dadurch, dass die Ausländerbehörde während einer vorhergehenden Untersuchungshaft Gelegenheit hatte, gegen ihn Abschiebehaft zu erwirken, andernfalls ihm eine Duldung hätte erteilen müssen.

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Gegen den beschuldigten wird der in der Anlage beigefügte Haftbefehl erlassen.

 

Gründe

Am 15. 6. 2000 beantragte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht den Erlaß eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten wegen des Vorwurfs, sich am 3. 3. 2000 bis zum 14. 6. 2000 in Frankfurt am Main und anderen Orten tateinheitlich a) entgegen § 3 Abs. 1 S. 1 AuslG ohne Aufenthaltsgenehmigung im Bundesgebiet aufgehalten und keine Duldung nach § 55 Abs. 1 AuslG besessen b) entgegen § 4 Abs. 1 i. V. m. § 29 Abs. 1 AusIG ohne Paß und ohne Ausweisersatz im Bundesgebiet aufgehalten und damit gem. den §§ 92 Abs. 1 und 2 AusIG, 52 StGB, §§ 1, 3 JGG strafbar gemacht zu haben. Als Haftgrund wurde Fluchtgefahr § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). angeführt.

Der Ermittlungsrichter am Amtsgericht Frankfurt am Main lehnte den Erlaß des Haftbefehls ab. Ein Verstoß gegen § 92 Abs. 1 Nr. 1 AusIG liege nicht vor. Aus der Akte ergebe sich, daß der Beschuldigte sich bereits in Untersuchungshaft befunden habe. Die zuständige Ausländerbehörde hätte somit Gelegenheit gehabt, Abschiebehaft zu bewirken. Da sie dies nicht getan habe, hätte sie dem Beschuldigten eine Duldung erteilen müssen. Daß sie dies ebenfalls unterlassen habe, gehe nicht zu Lasten des Beschuldigten. Wegen des Verstoßes gegen § 92 Abs. 1 Nr. 2 AusIG sei der Erlaß eines Haftbefehls unverhältnismäßig.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht dagegen wurde im angefochtenen Beschluß verworfen. Die Kammer schloß sich der Auffassung des Ermittlungsrichters an. Ergänzend wies sie u. a. darauf hin, daß zumindest die für die JVA Rockenberg zuständige Ausländerbehörde Kenntnis davon gehabt habe, daß der Beschuldigte dort im Februar 2000 in Untersuchungshaft gesessen habe. Hiergegen richtet sich die weitere Beschwerde. Sie ist zulässig (§ 310 Abs. 1 StPO) und begründet.

Aufgrund der eigenen Einlassung des Beschuldigten, der Angaben der Polizeiobermeisterin N. in der Einlieferungsanzeige vom 14. 6. 2000 in Verbindung mit den der Anzeige beigefügten Urkunden (Entlassungsschein des Landgerichts Frankfurt vom 2. 3. 2000, Notierung der Personalien in den Akten durch den Beschuldigten selbst, Schreiben der Rechtsanwältin L. vom 3. 3. 2000, AZR-Ausdruck) sowie dem Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 2. 3. 2000 im Verfahren 955 Ds 40 Js 4627. 5/00, dem Protokoll der Hauptverhandlung in dem Verfahren und den Angaben darin des POK K. in der Einlieferungsanzeige vom 3. 2. 2000 die Akten wurden vom Senat beigezogen ist von folgendem Sachverhalt im Sinn dringenden Tatverdachts auszugehen:

Der Angeschuldigte ist eigener Angabe nach Algerier. Er wurde am 3. 2. 2000 von der Polizei in einer Pizzeria in Frankfurt am Main beim Arbeiten angetroffen. Auf Befragen gab er als seine Personalien den eingangs angeführten Namen und Geburtsort, als Geburtsdatum den "2. 10. 1985" an. Er erklärte, seinen Paß verloren zu haben. In seiner Jacke fand die Polizei einen französischen Paß und einen französischen Führerschein, beides lautend auf die Personalien . . . " und versehen mit dem Lichtbild des Beschuldigten. Bei seiner Vernehmung durch die Polizei am 4. 2. 2000 gab er laut Protokoll an, er sei im August 1999 von Ceuta über Spanien und Frankreich nach Deutschland geschleust worden, habe hier arbeiten wollen und sich die gefälschten Papiere durch Vermittlung eines Landsmannes von einem Unbekannten auf der Konstablerwache besorgt. Gegen ihn erging Haftbefehl und er blieb bis zum 2. 3. 2000 in Untersuchungshaft. An dem Tag wurde er vom Jugendschöffengericht wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz und wegen Urkundenfälschung mit einem Dauerarrest von vier Wochen belegt, von dessen Vollstreckung im Hinblick auf die erlittene Untersuchungshaft abgesehen wurde, und aus der Haft entlassen. In der Hauptverhandlung hatte er als Geburtsdatum zunächst wieder 2. 10. 1985" angegeben, dies auf den Vorhalt, er sehe erheblich älter aus, auf 2. 1. 1984" geändert, und auf Befragen erklärt, er habe noch nie einen Paß gehabt. Seine seinerzeitige Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin L. , teilte laut Protokoll mit, wenn der Mandant aus der Haft komme, werde er erst einmal zur Ausländerbehörde gehen; "heute" werde sie ihn in die Speyerstraße zum "Sleep In" schicken, damit er eine Unterkunft bekomme. Nach den Feststellungen im Urteil wollte der Beschuldigte die gefälschten Papiere insbesondere auf der Suche nach einem Arbeitsplatz vorlegen, um seinen legalen Aufenthalt vorzutäuschen. In der Strafzumessung ist u. a. ausgeführt, es sei zu hoffen, daß den Angeklagten die Untersuchungshaft so weit beeindruckt habe, daß er sich nach seiner Hafte...

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