Leitsatz (amtlich)

Ein von beiden Eheleuten gemeinsam bewohntes Haus verliert den Charakter als Ehewohnung i.S.d. § 1361b Abs. 1 S. 1 BGB nicht allein dadurch, dass sich ein Ehegatte nach Trennung der Eheleute zu einem - bereits in der Vergangenheit regelmäßig durchgeführten - mehrmonatigen Verwandtenbesuch im Ausland aufhält (Anschluss an BGH FamRZ 2017, 22-25).

Werden einem Ehegatten Besitz- und Nutzungsrechte an der Ehewohnung durch verbotene Eigenmacht des anderen (Aussperrung) entzogen, ergibt sich sein Anspruch auf Wiedereinräumung aus § 1361b BGB analog, nicht aus § 861 BGB (Anschluss an OLG Karlsruhe FamRZ 2001, 760-761; Abgrenzung zu OLG Koblenz FamRZ 2009, 1934-1936 und OLG Schleswig FamRZ 1997, 892).

Bei Prüfung der normativen Voraussetzungen des Nutzungsanspruchs ist in diesem Fall der Regelungsgehalt des possessorischen Besitzschutzes miteinzubeziehen (vgl. OLG Karlsruhe aaO.).

 

Normenkette

BGB § 861 Abs. 1, § 1361b Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

AG Alsfeld (Aktenzeichen 22 F 491/18)

 

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin Zutritt zu der ehelichen Wohnung der Beteiligten - Hausgrundstück ... - zu gewähren und ihr die dazu erforderlichen Haus- und Zimmerschlüssel zu überlassen.

Die Nutzung der Ehewohnung im Einzelnen wird wie folgt geregelt:

Die Antragstellerin übt den alleinigen Besitz an dem Schlafzimmer im ersten Stockwerk rechts der Treppe (mit Türe zum Esszimmer) aus.

Der Antragstellerin werden zur alleinigen Nutzung unter Ausschluss des Antragsgegners zugewiesen

  • das Badezimmer für die Zeit morgens zwischen 7:00 Uhr und 8:00 Uhr und abends zwischen 21:30 Uhr und 22:30 Uhr, und
  • die Küche morgens zwischen 8:15 Uhr und 9:00 Uhr, mittags zwischen 12:30 Uhr und 13:30 Uhr, sowie abends zwischen 18:30 Uhr und 19:15 Uhr.

Der Antragsgegner übt den alleinigen Besitz an dem Schlafzimmer im ersten Stockwerk links der Treppe (mit Türe zum Wohn-/Lesezimmer) aus.

Dem Antragsgegner werden zur alleinigen Nutzung unter Ausschluss der Antragstellerin zugewiesen

  • das Badezimmer für die Zeit morgens zwischen 8:00 Uhr und 9:00 Uhr und abends zwischen 20:30 Uhr und 2-die Küche morgens zwischen 9:00 Uhr und 9:45 Uhr, mittags zwischen 13:30 Uhr und 14:30 Uhr, sowie abends zwischen 19:15 Uhr und 20:00 Uhr.

Ferner ist die Antragstellerin berechtigt, die im Haus von und zu den ihr zugewiesenen Räumen sowie von und zur Eingangstüre führenden Wege - in angemessenem zeitlichen und räumlichen Umfang - zu nutzen.

Von einer darüberhinausgehenden Zuweisung von Räumlichkeiten wird abgesehen.

Der Antragsgegner ist verpflichtet, das Schlafzimmer im ersten Stockwerk der Ehewohnung rechts der Treppe (mit Türe zum Esszimmer) sofort zu räumen und an die Antragstellerin herauszugeben.

§ 885 Abs. 2 bis 4 ZPO ist bei der Räumung nicht anzuwenden.

Die Gerichtskosten beider Instanzen werden den Beteiligten jeweils zur Hälfte auferlegt, von einer Anordnung der Erstattung außergerichtlicher Kosten wird für beide Instanzen abgesehen.

Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird hinsichtlich der Gewährung des Zugangs zu der Ehewohnung und der Räumung und Herausgabe des Schlafzimmers im ersten Stockwerk rechts der Treppe (mit Türe zum Esszimmer) der Ehewohnung angeordnet.

Die Vollstreckung ist vor Zustellung an den Antragsgegner zulässig.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird festgesetzt auf 3.000 EUR.1:30 Uhr, und

 

Gründe

I. Die mit dem Antragsgegner verheiratete Antragstellerin begehrt Zutritt zu und Aufenthalt in der in der in seinem alleinigen Eigentum stehenden ehelichen Wohnung.

Die Antragstellerin, chinesische Staatsangehörige, und der Antragsgegner, Deutscher, schlossen am ... 2013 in X./China die Ehe und lebten anschließend gemeinsam im Haus des Antragsgegners in Z. Das Haus verfügt über fünf Zimmer, Küche und Bad mit WC. Im Jahre 2017 kam es wegen einer Auseinandersetzung der Eheleute zu einem Polizeieinsatz in der Wohnung, die der Antragsgegner daraufhin für eine Woche verließ. Die Antragstellerin, deren Aufenthaltsstatus in Deutschland nicht gesichert ist, besucht jährlich regelmäßig für mehrere Monate ihre Eltern in China, so auch von April bis September 2018. Streitig ist, ob und ggf. mit welchem Inhalt die Eheleute bereits vor ihrem Abflug im April 2018 eine Vereinbarung über ihre Trennung und spätere Scheidung getroffen hatten. Bei ihrer Rückkehr am 23.09.2018 jedenfalls verweigerte der Antragsgegner, der sich inzwischen einer aus ... stammenden Frau zugewandt hat, der Antragstellerin den Zutritt zur ehelichen Wohnung. Zunächst hielt diese sich daraufhin bei ihrer Schwester in China, zuletzt aber auch wieder im Inland auf.

Die Antragstellerin hat erstinstanzlich beantragt,

den Antragsgegner zu verurteilen, der Antragstellerin den Zutritt zum ehelichen Haus in: ... Z, zu gewähren und den Aufenthalt in diesem Haus zu gestatten.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Er behauptet, die Antragstellerin sei im Jahre 2017 mit einem ...

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