Entscheidungsstichwort (Thema)

Disziplinarmaßnahme. Maßregelvollzug. Privatbedienstete. Privatisierung. Übertragung hoheitlicher Aufgaben auf juristische Personen des Privatrechts im Maßregelvollzug

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die im Zuge der Teilprivatisierung erfolgte Übertragung der Befugnis auf privatrechtlich Beschäftigte bei Gefahr im Verzug besondere Sicherungsmaßnahmen vorläufig anordnen zu dürfen, ist mit Artikel 33 IV GG vereinbar.

2. Das in Artikel 20 II GG niedergelegte Demokratieprinzip gebietet es, dass im Falle der Übertragung hoheitsrechtlicher Befugnisse auf juristische Personen des Privatrechts im Wege der Beleihung die natürlichen Personen, die diese Befugnisse tatsächlich ausüben, über die erforderliche demokratische Legitimation verfügen.

3. Das Fehlen der personellen Legitimation der nur auf privatrechtlicher Grundlage Beschäftigten (hier: bei der vorläufigen Anordnung besonderer Sicherungsmaßnahmen) kann durch zureichende Aufsichts- und Weisungsmöglichkeiten des Landes ausgeglichen werden. Letztere sind in Hessen gewährleistet.

 

Normenkette

GG Art. 20 Abs. 2, Art. 33 Abs. 4; HessMVollzG HE §§ 2, 5; StVollzG § 91

 

Verfahrensgang

LG Marburg (Entscheidung vom 12.02.2009; Aktenzeichen 7a StVK 78/08)

 

Nachgehend

BVerfG (Urteil vom 18.01.2012; Aktenzeichen 2 BvR 133/10)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Antragsstellers verworfen.

Der Gegenstandswert wird auf 4000,- € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller ist bei der X gGmbH in ... nach § 63 StGB auf der Station ... untergebracht. Am Abend des 08.04.2008 wurde er von Pflegekräften, die auf privat-rechtlicher Grundlage beschäftigt sind, in Einschluss genommen. Hintergrund dafür war, dass der Antragssteller aus Sicht der Pflegekräfte den Versuch unternahm, die Stationstür zu öffnen. Als er aufgefordert wurde, sich von der Tür zu entfernen, war er im Begriff, eine Pflegekraft anzugreifen, weshalb eine zweite Pflegekraft hinzukam. Der Antragsteller schrie: "Ich schneide dir den Hals durch, Arschloch, gehe nicht ins Zimmer!". Daraufhin wurde er in Einschluss genommen, wobei nicht geklärt werden konnte, ob er in seinem Unterbringungsraum oder in einer Beruhigungszelle eingeschlossen wurde. Von der Maßnahme wurde nachträglich der leitende diensthabende Arzt unterrichtet.

Seit der Änderung des Hessischen Maßregelvollzugsgesetzes durch Gesetz vom 05.07.2007 gestattet § 2 HessMVollzG, dass Träger von Einrichtungen des Maßregelvollzuges auch Kapitalgesellschaften sein können, deren Anteile vollständig vom Landeswohlfahrtverband Hessen, einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, gehalten werden oder einer Gesellschaft des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen, an der der Landeswohlfahrtverband Hessen ebenfalls sämtliche Anteile hält, soweit diese die notwendige Zuverlässigkeit und Sachkunde aufweist.

Die Übertragung der Aufgabe des Maßregelvollzuges erfolgt in einem solchen Fall nach § 2 S. 4 HessMVollzG im Wege der Beleihung durch öffentlich-rechtlichen Vertrag. Auch für den Fall der Beleihung bleiben nach § 2 S. 6 HessMVollzG die Leiterinnen und Leiter der Einrichtung, sowie die Stellvertreterinnen und Stellvertreter und die weiteren Ärztinnen und Ärzte mit Leitungsfunktionen Beschäftigte des Landeswohlfahrtsverbandes und treffen gemäß § 2 HessMVollzG die Ermessensentscheidungen, die in Grundrechte der Untergebrachten eingreifen.

Entsprechend § 2 S. 4 HessMVollzG haben am 23.10.2007 das Land Hessen, vertreten durch das Sozialministerium, und die Antragsgegnerin, die Zentrum für Soziale Psychiatrie ... gemeinnützige GmbH (im folgenden X gGmbH), deren Gesellschafter zu 5,1% der Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen und zu 94,9% die LWV-Gesundheitsmanagment GmbH sind, vertreten durch die Geschäftsführer, einen Beleihungsvertrag geschlossen mit dem der X gGmbH unter anderem die Aufgabe übertragen wurde, den Vollzug der als Maßregel der Besserung und Sicherung angeordneten Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus im eigenen Namen für das Land Hessen nach Maßgabe des Vollstreckungsplanes nach § 4 HessMVollzG durchzuführen.

§ 4 des Beleihungsvertrages bestimmt folgendes:

(1) Dem Träger werden hiermit die für die Durchführung der Aufgaben nach § 1 Hessisches Maßregelvollzugsgesetz erforderlichen hoheitlichen Befugnisse verliehen. Insbesondere wird dem Träger die Befugnis verliehen, Eingriffe in die Grundrechte der Patienten und anderen Personen vorzunehmen, zu denen das Hessische Maßregelvollzugsgesetz ermächtigt. ...

(2) Der Träger trägt die Gesamtverantwortung für die Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der Erfüllung der übertragenen Aufgaben. Unter dieser Gesamtverantwortung obliegen alle Maßnahmen der Durchführung des Maßregelvollzuges nach § 5 Abs. 2 und §§ 6 bis 37 Maßregelvollzugsgesetz sowie § 126 a StPO der Verantwortung des Leiters der Einrichtung des Maßregelvollzuges.

(3) Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter, die oder der mit der Aufgabe des Maßregelvollzuges betraut ist, trägt für die Rechtmäßigkeit ihrer oder seiner Anordnun...

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