Leitsatz (amtlich)

Maßstab für die Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge

 

Normenkette

BGB § 1671

 

Verfahrensgang

AG Alsfeld (Beschluss vom 22.05.2019; Aktenzeichen 24 F 49/19 SO)

 

Tenor

Die angefochtene Entscheidung wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die elterliche Sorge für das Kind X, geb. am XX.XX.201X, wird der Kindesmutter entzogen und dem Kindesvater zur alleinigen Ausübung übertragen.

Die in beiden Rechtszügen entstanden Gerichtskosten haben die Kindesmutter und der Kindesvater jeweils zur Hälfte zu tragen. Eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht satt.

Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die getrenntlebenden Kindeseltern streiten um die elterliche Sorge für ihren außerehelich geborenen ...jährigen Sohn X, für den sie gemeinsam die elterliche Sorge innehaben.

Die Kindesmutter leidet unter einer Suchterkrankung und ist deshalb auch nach ihrem eigenen Dafürhalten derzeit (noch) nicht in der Lage, X selbstständig zu erziehen und zu betreuen. Daher lebt der Junge bereits seit November 2017 durchgängig bei seinem Vater. Obwohl X von diesem regelmäßig zu seinen Großeltern mütterlicherseits gebracht wird, hat ihn seine Mutter dort bislang weder besucht, noch ihn seit September 2018 auch nur gesehen. Aufgrund ihrer Suchterkrankung war sie bislang für den Kindesvater nicht erreichbar, so dass diese sorgerechtlichen Entscheidungen über Impfungen des Jungen oder die Erteilung eines Reisepasses zunächst zurückstellen musste. Eine von ihr unter dem 16.08.2018 erteilte Sorgerechtsvollmacht war bis zum 31.10.2018 befristet und wurde nicht verlängert. Daher beantragte der Kindesvater in erster Instanz, die elterliche Sorge für X in vollem Umfang auf ihn zu übertragen. Eine erneute Vollmachtserteilung sei aufgrund der Unzuverlässigkeit der Kindesmutter nicht hinreichend. Die Kindesmutter trat dem Antrag entgegen und ließ durch ihre Bevollmächtigte eine vom 15.05.2019 datierende, dieser per Fax übersandte unbefristete Vollmacht überreichen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Kindesmutter zur stationären Behandlung in der A-Klinik (Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie) in Stadt1.

Nach Bestellung eines Verfahrensbeistands und persönlicher Anhörung des Kindesvaters (die Kindesmutter befand sich zu diesem Zeitpunkt noch in der Klinik) wies das Familiengericht den Antrag des Kindesvaters mit dem angefochtenen Beschluss vom 22.05.2019 zurück. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass es einer Übertragung der elterlichen Sorge angesichts der neu erteilten Vollmacht nicht mehr bedürfe. Diese versetze den Kindesvater in die Lage, die erforderlichen Entscheidungen zur elterlichen Sorge künftig alleine zu treffen. Ein Entzug der elterlichen Sorge sei vor diesem Hintergrund nicht verhältnismäßig.

Gegen den ihm am 29.05.2019 zugestellten Beschluss hat der Kindesvater mit am 05.06.2019 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz vom Vortag Beschwerde eingelegt. Mit dem Rechtsmittel verfolgt er seinen erstinstanzlichen Antrag weiter. Zur Begründung führt er zunächst an, sie sei infolge ihrer Suchterkrankung nicht in der Lage, die elterliche Sorge auszuüben. Sie sei in der Vergangenheit für ihn nicht erreichbar gewesen und habe sich als unzuverlässig erwiesen. Daher bestehe auch die Gefahr eines Widerrufs der erteilten Vollmacht.

Die Kindesmutter verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Der Verfahrensbeistand hat mit seinen Stellungnahmen im Senatstermin vom 06.08.2019 und mit Schriftsatz vom 11.11.2019 die erstinstanzliche Entscheidung verteidigt. Allerdings war es ihm ebenso wenig wie der fallzuständigen Mitarbeiterin des Jugendamts gelungen, zuvor einen persönlichen Kontakt zur Kindesmutter herzustellen.

Die Kindeseltern sind im Beschwerdeverfahren nach Übertragung der Sache auf den Einzelrichter persönlich angehört worden. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen wird auf das Sitzungsprotokoll vom 06.08.2019 und auf den Anhörungsvermerk vom 10.10.2019 Bezug genommen. Ferner wurde mit ihrer Zustimmung die für die Kindesmutter zu Az. ... beim Amtsgericht Stadt2 geführte Betreuungsakte beigezogen und zum Gegenstand des Verfahrens gemacht.

II. Die gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde führt unter Abänderung der familiengerichtlichen Entscheidung zur Auflösung der gemeinsamen elterlichen Sorge für X und zu ihrer Übertragung auf den Kindesvater zur alleinigen Ausübung.

Maßstab für die Entscheidung ist dabei § 1671 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 2 BGB. Danach ist einem der beiden getrenntlebenden, gemeinsam sorgeberechtigten Eltern die elterliche Sorge auf Antrag ganz oder zum Teil zur alleinigen Ausübung zu übertragen, wenn die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antrag stellenden Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.

Die vollständige oder teilweise Aufhebung der gemeinsamen Sorge ist zum Wohle des Kindes nur dann gebo...

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