Leitsatz (amtlich)

1. In Fällen, in denn die Grundsicherung auf den Unterhaltsbedarf des Bedürftigen (hier bei einem volljährigen erwerbsunfähigen Kind) anzurechnen ist, hat der Rechtsanwalt den unterhaltspflichtigen Mandanten darüber zu beraten, dass seine dennoch erfolgenden Leistungen überobligatorisch sind.

2. Auch vor der höchstrichterlichen Klärung des Verhältnisses von Grundsicherung und Unterhaltsbedarf hatte der Rechtsanwalt seinen unterhaltspflichtigen Mandanten entsprechend zu beraten und ihm geeignete Schritte zur Wahrung seiner Rechte zu empfehlen.

3. Im Hinblick auf einen bestehenden Titel hat der Rechtsanwalt seinem unterhaltspflichtigen Mandanten in diesen Fällen zu raten, weitere Unterhaltszahlungen nur unter Vorbehalt zu erbringen und im Rahmen einer zu erhebenden Abänderungsklage alsbald einen Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung für die Zeit ab Vollendung des 18. Lebensjahres zu stellen.

4. Rechtsanwälte, die nacheinander demselben Auftraggeber Schaden zugefügt haben, haften ihm grundsätzlich als Gesamtschuldner, ohne dass er sich den Schadensbeitrag des später tätigen Anwalts als Mitverschulden entgegenhalten lassen muss, es sei denn der Mandant habe sich des Zweitanwalts bedient, um eine Abwehr oder Minderung des Schadens zu erreichen.

 

Normenkette

BGB §§ 675, 611, 280, 1602; SGB XII § 43 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Urteil vom 22.12.2010; Aktenzeichen 3 O 280/10)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird - unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels - das am 22.12.2010 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Wuppertal teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.765 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.6.2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Dem Kläger steht entgegen der Auffassung des LG ein Schadensersatzanspruch i.H.v. 12.765 EUR gegen die Beklagte aus anwaltlicher Pflichtverletzung zu. Denn der Beklagten ist eine schuldhafte Verletzung ihrer Pflichten aus dem mit dem Kläger geschlossenen Anwaltsdienstvertrag anzulasten. Keinen Erfolg hat die Klage lediglich, soweit der Kläger mit dieser auch einen Betrag i.H.v. 1.925,13 EUR für aufgelaufene Zinsen begehrt.

A. Der Beurteilung des LG, die beklagte Rechtsanwältin habe die unterhaltsrechtliche Angelegenheit des Klägers fehlerfrei bearbeitet, folgt der Senat nicht. Das Gegenteil ist richtig, so dass die Beklagte wegen der schuldhaften Verletzung der sie treffenden Pflichten aus dem Anwaltsvertrag dem Kläger auf Schadensersatz haftet, §§ 675, 611, 276, 280, 249 ff. BGB.

1. Die Beklagte hat ihre Pflichten aus dem Mandatsverhältnis mit dem Kläger in objektiver Hinsicht verletzt. Denn sie hat den Kläger pflichtwidrig nicht darauf hingewiesen, dass sein Sohn mit der Vollendung des 18. Lebensjahres einen Anspruch auf Grundsicherung hat, und es pflichtwidrig unterlassen, die gegen den Sohn erhobene Abänderungsklage auf diesen Gesichtspunkt zu stützen.

a) Grundsätzlich ist der Rechtsanwalt aufgrund des Anwaltsvertrages in den Grenzen des ihm erteilten Mandats (BGH MDR 1998, 1378; MDR 1996, 2648 f.; vgl. auch BGH, NJW 2009, 1141; Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Aufl., Rz. 482 m.w.N.) verpflichtet, die Interessen seines Mandanten nach jeder Richtung und umfassend wahrzunehmen und Schädigungen seines Auftraggebers, mag deren Möglichkeit auch nur von einem Rechtskundigen vorausgesehen werden können, zu vermeiden. Soweit der Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur in einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftraggebers verpflichtet. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind, und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist (BGH WM 1993, 1376; WM 2007, 419; NJW 2007, 2485; WM 2008, 1560; NJW 2009, 2949).

b) Auftrag der Beklagten war es hier, eine Abänderung der Kindesunterhaltsverpflichtung des Klägers gegenüber seinem am 12.7.1988 geborenen Sohn zu erreichen. Wie die Beklagte selbst vorträgt, beauftragte sie der Kläger, nachdem dieser im August 2005 im Wege seiner beruflichen Neuorientierung in den Vorbereitungsdienst für das Lehramt eingetreten war und Aussicht auf einen Verdienst von lediglich knapp 1.000 EUR brutto hatte, auch mit der Abänderung seiner Kindesunterhaltsverpflichtung. Dementsprechend erweiterte die Beklagte die vor dem AG Ko...

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