Leitsatz (amtlich)

1. Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Kartell-Geldbußen eines Unternehmens.

2. Die Verjährung von Regressansprüche gegen einen Geschäftsführer oder Vorstand wegen deren Beteiligung an einem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch beginnt im Falle einer Grundabsprache mit dem letzten zu einer Bewertungseinheit zusammengefassten Teilakt ("Einzeltat").

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 37 O 66/20 (Kart))

 

Tenor

1. Die Berufungen des Beklagten und diejenigen der Klägerinnen gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf werden zurückgewiesen.

2. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens, die außergerichtlichen Kosten des Beklagten im Berufungsverfahren und die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin des Beklagten im Berufungsverfahren tragen die Klägerin zu 1) zu 66% und die Klägerin zu 2) zu 18%. Der Beklagte trägt die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens zu 16%. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 1) im Berufungsverfahren trägt der Beklagte zu 11 % und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 2) im Berufungsverfahren zu 30%. Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt.

3. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung der jeweils anderen Partei durch Leistung einer Sicherheit oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerinnen nehmen den Beklagten als ehemaligen Geschäftsführer der Klägerin zu 1) und als ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Klägerin zu 2) aus Organhaftung wegen der Beteiligung an wettbewerbswidrigen Kartellabsprachen und -abstimmungen auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin zu 1) begehrt den Ersatz des vom Bundeskartellamt wegen dieser Verhaltensweisen gegen sie verhängten Bußgeldes nebst Gebühren und Auslagen. Die Klägerin 2) verlangt den Ersatz ihr entstandener Aufklärungs- und Verteidigerkosten in Form von Kosten für ihre Verteidiger und IT-Kosten. Zudem begehren beide Klägerinnen die Feststellung der Ersatzpflicht des Beklagten wegen möglicher künftiger Schäden, u.a. aus der Inanspruchnahme Dritter nach § 33a GWB.

Die Klägerinnen sind Gesellschaften der X.-Gruppe, einer Herstellerin metallischer Präzisions-Halbzeuge, spezialisiert auf Kaltumformung von rostfreiem Edelstahl, Titan, C-Stahl und Sonderwerkstoffen zu Band, Draht, Stab und Profil. Die X.-Gruppe erzeugt selbst keinen Edelstahl, sondern bezieht diesen von verschiedenen Stahlherstellern aus der ersten Marktstufe als Abnehmerin. Die Klägerin zu 1) ist die operative Gesellschaft der X.-Gruppe und eine 100%ige Tochtergesellschaft der Klägerin zu 2). Die Klägerin zu 2) ist die Holding der gesamten X.-Gruppe.

Der Beklagte war von 1998 bis Ende 2015 Vorstandsmitglied der Klägerin zu 2) und jedenfalls ab dem Jahr 2003 ihr Vorstandsvorsitzender. Gleichzeitig war er während des gesamten Zeitraums von 1998 bis 2015 - neben anderen - Geschäftsführer der Klägerin zu 1).

Zugunsten des Beklagten schloss die Klägerin zu 2) bei der Streithelferin des Beklagten eine Geschäftsleiterhaftpflichtversicherung (sog. Directors and Officers Liability) mit einer Deckungssumme in Höhe von ... Mio. EUR ab. Dem Versicherungsvertrag liegen die Versicherungsbedingungen ... zu Grunde. Darin ist u.a. geregelt, dass der Versicherer weltweit Versicherungsschutz für den Fall gewährt, dass eine der versicherten Personen wegen einer (behaupteten) Pflichtverletzung, die sie in ihrer Eigenschaft als geschäftsführendes Organ begangen hat, in Anspruch genommen wird. Der Versicherungsschutz erstreckt sich nicht auf Schadensersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung (dolus directus) der in Anspruch genommenen Person. Er erstreckt sich auch nicht auf gegen die versicherte Person verhängte Vertragsstrafen, Bußgelder und Geldstrafen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen im Tatbestand des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main (2-08 O 313/20 vom 20.1.2023) verwiesen.

Die Klägerin zu 1) war als stahlverarbeitendes Unternehmen u.a. Mitglied des F. e.V. und des Wirtschaftsverbandes der D... Der Beklagte nahm im Namen beider Klägerinnen regelmäßig an den Sitzungen des F. e.V. teil und gehörte seit November 1998 dem Vorstand sowie seit 2004 dem ... Vorstand dieser Vereinigung an. 2012 wurde er ihr Vorstandsvorsitzender. Außerdem nahm er für die Klägerin zu 1) bis Ende 2009 an Treffen des D. teil.

In der Zeit vom Ende des EGKS-Vertrages am 23.7.2002 bis zum 31.12.2015 beteiligte sich der Beklagte als Vertreter der Klägerin zu 1) an einem Preiskartell. Er traf als ihr Vertreter gemeinschaftlich handelnd mit Vertretern diverser anderer stahlherstellender, stahlverarbeitender und stahlvertreibender Unternehmen wettbewerbswidrige Vereinbarungen, die den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet waren und eine Verhinderun...

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