Leitsatz (amtlich)

1. Der Staatsanwaltschaft ist bei der Prüfung, ob ein Anfangsverdacht i.S.d. § 152 StPO vorliegt, in tatsächlicher Hinsicht ein Beurteilungsspielraum und auch in rechtlicher Hinsicht eine gewisse Freiheit bei der Bildung ihrer Auffassung eröffnet. Die darauf gestützte Entscheidung, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, ist im Amtshaftungsprozess nur auf ihre Vertretbarkeit zu überprüfen.

2. Zu Voraussetzungen und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Justizbehörden im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren.

3. Unabhängig voneinander begangene Persönlichkeitsrechtsverletzungen mehrerer Amtsträger ggü. demselben Rechtsträger können, wenn sie für sich genommen nicht eine Schwere erreichen, welche die Zubilligung einer Geldentschädigung rechtfertigt, nicht durch ihre Kumulation zur Haftung der allen Amtsträgern gemeinsamen Anstellungskörperschaft nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG wegen einer schweren Persönlichkeitsrechtsverletzung führen.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Urteil vom 30.04.2003; Aktenzeichen 2b O 182/02)

 

Tenor

Die Berufungen beider Parteien gegen das Urteil der 2b Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 30.4.2003 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Kostenentscheidung des angefochtenen Urteils abgeändert wird.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz und des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 96 % und das beklagte Land zu 4 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung der jeweils anderen Partei gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von dem beklagten Land Schadensersatz, Feststellung der Ersatzpflicht und Geldentschädigung wegen angeblicher Amtspflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem gegen ihn wegen "Untreue u.a." eingeleiteten und fortgeführten Ermittlungsverfahren.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen (§ 540 ZPO).

Das LG hat dem Kläger durch das angefochtene Urteil ein Schmerzensgeld i.H.v. 10.000 EUR zuerkannt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Abdruck in NJW 2003, 2536 ff.).

Hiergegen richten sich die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen des Klägers und des beklagten Landes, mit der die Parteien ihre erstinstanzlichen Anträge weiter verfolgen.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stehe der mit dem Klageantrag zu 1. geltend gemachte Schadensersatzanspruch auf Zahlung von 100.000 EUR für die im Zeitraum vom 12.3.2001 bis zum 30.6.2002 zumindest für seinen Strafverteidiger entstandenen Rechtsanwaltskosten zu, da ein Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 StPO gegen ihn nicht bestanden habe und die Staatsanwaltschaft deswegen das Ermittlungsverfahren nicht hätte einleiten und fortführen dürfen.

Das LG habe den sich aus §§ 839 Abs. 1 BGB, 152 Abs. 2 StPO ergebenden Prüfungsmaßstab verkannt. Die Beachtung der sich aus dem Gesetz ergebenden Schwelle des Anfangsverdachts dürfe nicht, auch nicht faktisch, im Ermessen der Beamten stehen. Erst nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens bekannt gewordene Tatsachen dürften im Amtshaftungsprozess bei der Bewertung der Anweisung zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens nicht berücksichtigt werden. Es bestehe auch kein Beurteilungsspielraum im Hinblick auf eine "rechtliche Bewertung", vielmehr seien die von den Beamten vertretenen Rechtsauffassungen gerichtlich nicht nur auf deren "Vertretbarkeit", sondern unter Berücksichtigung der die Staatsanwälte bindenden Rechtsprechung auch auf "Richtigkeit" hin vollständig zu überprüfen.

Der Kläger ist der Ansicht, unter Berücksichtigung dieser Grundsätze habe auf der Grundlage des am 12./15.3.2001 bekannten oder ohne Überschreitung des Beurteilungsspielraums angenommenen Sachverhalts keine "verfolgbare Straftat" seinerseits angenommen werden können. Soweit der Staatsanwaltschaft am 12.3.2001 - unstreitig - bekannt gewesen sei, dass der Vorstand der M.-AG rund 400 Mio. DM für die Information der Aktionäre und für Berater im Rahmen des Übernahmeverfahrens aufgewendet hatte, sei dieser Sachverhalt nicht strafbar gewesen. Des Weiteren sei den Beamten der Staatsanwaltschaft am 12.3.2001 nur bekannt gewesen, dass er, der Kläger, auf der Grundlage der Beschlüsse des zuständigen Aufsichtsratsausschusses vom 4. und 28.2.2000 von der M.-AG eine Anerkennungsprämie i.H.v. 10 Mio. GBP erhalten habe. Dieser Sachverhalt habe weder eine Straftat der Mitglieder des Aufsichtsratsausschusses noch eine Straftat seinerseits dargestellt, da er dem entscheidenden Gremium nicht angehört habe. Es könne auch dahin stehen, ob die Spekulationen der Staatsanwälte, er habe die Anerkennungsprämie als Gegenleistung für die Aufgabe seines Widerstandes gegen die "feindliche" Übernahme der M.-AG durch Vodafone erhalten, als Untreue seinerseit...

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