Leitsatz (amtlich)

Der Anwaltsnotar darf nach notarieller Beurkundung eine der daran beteiligten Parteien in einem Rechtsstreit, in dem es um die Auslegung dieser Urkunde geht, nicht als Rechtsanwalt vertreten.

 

Normenkette

BGB § 134; BRAO § 45 Abs. 1 Nr. 2

 

Verfahrensgang

LG Duisburg (Urteil vom 28.02.2001; Aktenzeichen 4 O 483/00)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 29.01.2003; Aktenzeichen IV ZR 257/01)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das am 28.2.2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des LG Duisburg wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsrechtszuges trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die zulässige Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Das LG hat im Ergebnis zutreffend den Beklagten zur Rückzahlung der geleisteten Gebührenabschlagszahlung verurteilt.

1. Der Beklagte hat allerdings zu Recht beanstandet, dass das LG über einen ihm von den Parteien nicht unterbreiteten Sachverhalt entschieden hat; denn unstreitig hat der Beklagte entgegen den Feststellungen des Vordergerichts im Vorprozess 8 O 203/99 LG Duisburg nicht die Schwester des Klägers, sondern diesen selbst vertreten. Dies führt jedoch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LG, weil der Senat in der Sache selbst entscheiden kann (§ 540 ZPO).

2. Bei der tatsächlich vorliegenden Konstellation bedarf es nicht der Befassung mit der vom LG erörterten Frage, ob das Verbot des § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO auch gilt, wenn der Rechtsanwalt, der zuvor als Notar eine Urkunde aufgenommen hat, eine dritte Person (hier: die Schwester des Klägers) vertritt, deren Rechte durch die Urkunde berührt werden. Hier hat der Beklagte als Rechtsanwalt nämlich den Kläger im Vorprozess vertreten und zuvor als Notar die Urkunde errichtet, um die es im Vorprozess ging und an der der Kläger beteiligt war.

Es geht folglich nur um die Frage, ob es im Vorprozess um den Bestand oder die Auslegung der Urkunde ging. Dies ist zu bejahen: Der Beklagte hat in seiner Berufungsbegründung zutreffend darauf hingewiesen, dass der Rechtsbestand einer Urkunde i.S.d. genannten Vorschrift nicht nur bei formellen Mängeln erfasst wird, sondern auch bei materiell-rechtlichen Mängeln. Dies ist z.B. anerkannt für den Fall der Anfechtbarkeit (Feuerich/Braun, BRAGO, 5. Aufl., § 45 Rz. 13), so ausdrücklich auch für den Fall, dass Streit darüber entsteht, ob der Vertrag zur Gläubigerbenachteiligung abgeschlossen wurde (OLG Frankfurt NJW 1960, 1162 [1163]; Borgmann/Haug, Anwaltshaftung, 2. Aufl., § 7 Nr. 3 a, S. 35), eine Lage, die der hier zu beurteilenden (Frage der Erbenbenachteiligung) in der Interessenlage gleichkommt. Für dieses Ergebnis spricht ferner, dass die Rechtsprechung einem Rechtsanwalt auch die Vertretung eines Miterben bei der Durchsetzung von Ansprüchen aus einem von ihm errichteten Testament verwehrt hat, das der andere Miterbe angefochten hat (OLG Frankfurt NJW 1964, 1033). Das muss dann auch für den Fall gelten, dass der Anwalt den Miterben nicht im Aktiv-, sondern im Passivprozess vertritt. Ferner hat der BGH durch Urt. v. 27.5.1968 entschieden, dass Auslegungsfragen auch dann gegeben sind, wenn darüber gestritten wird, welche Folgerungen aus einer Vertragsbestimmung zu ziehen sind (BGH, Urt. v. 27.5.1968, BGHZ 50, 226 = NJW 1968, 2204).

Diesen Entscheidungen, denen der Senat sich anschließt, ist sämtlich der allgemeine Grundsatz zu entnehmen, dass sowohl die Frage des Bestandes wie diejenige der Auslegung einer zuvor vom Rechtsanwalt als Notar errichteten Urkunde nicht in engem, sondern in weitem Umfang zu bejahen ist, damit der Anwalt als zuvor mit der Errichtung der Urkunde befasster Notar nicht in die Verlegenheit kommen soll, eine Partei in einem Rechtsstreit zu Fragen zu Inhalt und Auswirkung der Urkunde vertreten zu müssen. Gerade dies war aber im Fall des Beklagten im Verhältnis zum Kläger im Vorprozess gegeben.

Entgegen der vom Beklagten im Anschluss an die Entscheidung des Ehrengerichtshofs Hamm vom 14.11.1965 (AnwBl. 1966, 242) ist ein Verstoß gegen § 45 BRAO auch nicht nur bei einer anwaltlichen Tätigkeit im Hinblick auf eine Streitigkeit der Urkundsparteien untereinander zu bejahen. Der BGH hat in dem bereits zitierten Urt. v. 27.5.1968 ausdrücklich entschieden, das Tätigkeitsverbot in der genannten Vorschrift (in beiden Fällen ging es um § 45 Nr. 4 BRAO in der bis zum Jahre 1994 geltenden Fassung, der in § 45 Abs. 1 Nr. 2 BRAO eine Neufassung erfahren hat) beziehe sich nicht nur auf Streitigkeiten unter den Parteien des beurkundeten Vertrags (BGH Urt. v. 27.5.1968, BGHZ 50, 226 = NJW 1968, 2204 [2205]).

3. Wie das LG zutreffend entschieden und der Beklagte insoweit nicht angegriffen hat, ist die Rechtsfolge des Verstoßes gegen § 45 BRAO hier die Nichtigkeit des Anwaltsvertrages, weil die genannte Bestimmung ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB beinhaltet (OLG Hamm v. 1.10.1991 – 15 W 266/91, MDR 1992, 81 = NJW 1992, 1174 m.w.N.; OLG Köln v. 14.2.1979 – 17 W 421/78, AnwBl...

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