Leitsatz (amtlich)

Begehrt ein Architekt in Abkehr von dem vereinbarten Pauschalhonorar die Aufstockung seiner Vergütung auf der Basis der Mindestsätze, ist § 4 Abs. 1 HOAI 1996/2002 anwendbar.

Diese Regelung verstößt nicht gegen Art. 15 der RL 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt (nachfolgend: Dienstleistungsrichtlinie), denn als die Umsetzungsfrist der Dienstleistungsrichtlinie am 28.12.2009 endete, war die HOAI 1996/2002 bereits durch die HOAI 2009 abgelöst.

Der Geltung des § 4 Abs. 1 HOAI 1996/2002 steht vorliegend auch nicht das europäische Primärrecht in Form der Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) oder der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) entgegen.

Ein grenzüberschreitender Bezug ist hier nicht gegeben, weil beide Parteien Inländer sind, das Bauprojekt nicht öffentlich ausgeschrieben war und kein solches Ausmaß oder Prestige aufwies, dass es eine grenzüberschreitende Attraktivität gezeigt hätte.

Stellt ein ausländischer Architekt fest, dass er sich einerseits mit günstigen Angeboten den Zugang zu dem deutschen Markt erschließen und andererseits "im Notfall" doch auf ein Mindesthonorar zugreifen kann, hat dies keine Wirkung, die den Markeintritt behindert.

Im Hinblick darauf, dass die HOAI 1996/2002 nicht mehr in Kraft ist, ist nicht ersichtlich, in wieweit Sachverhalte und Entscheidungen hierzu die Entscheidung beeinflussen können, ob sich ein Architekt aktuell in Deutschland niederlässt oder hier seine Dienstleistung erbringt.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 11 O 391/16)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 25.6.2019 verkündete Urteil des Landgerichts Düsseldorf - Einzelrichter - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 67.420,58 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.4.2016 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird vorbehalten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Am 16/17.12.2008 schlossen die Parteien einen Vertrag über die Erbringung von Ingenieursleistungen für das Bauvorhaben "Wohnen am Z..." in D.... Beauftragt wurde die Klägerin mit den Grundleistungen der Leistungsphasen 1 - 5 des Leistungsbildes Tragwerksplanung nach § 64 HOAI 1996. Der Vertrag sah für die einzelnen Leistungsphasen ein Pauschalhonorar vor, für die Leistungsphase 5 ein solches in Höhe von 71.000 EUR. Die Leistungsphasen 1-4 rechnete die Klägerin mit Teilschlussrechnungen vom 21.5.2009 auf Basis des Pauschalhonorars ab.

Unter dem 14.11.2009 stellte die Klägerin zur Leistungsphase 5 eine Abschlagsrechnung (9. Abschlagsrechnung), in der sie hinsichtlich der einen Bearbeitungsstand von 94% auswies und auf Basis des Pauschalhonorars eine weitere Abschlagszahlung forderte. Erst unter dem 1.3.2016 übersandte die Klägerin der Beklagten zur Leistungsphase 5 eine Schlussrechnung auf Basis der Mindestsätze. Wegen der Einzelheiten wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Mit dem am 25.6.2019 verkündeten Urteil hat die 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf, Einzelrichter, die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat ausgeführt: Der Klägerin stehe kein weiterer Anspruch auf Ingenieur-Honorar zu. Ein Anspruch sei jedenfalls verwirkt. Das Zeitmoment liege vor, da die Klägerin die Schlussrechnung erst über 6 Jahre nach der letzten Abschlagsrechnung übersandt habe, was das Doppelte der regelmäßigen Verjährungszeit sei. Auch das Umstandsmoment sei gegeben. Die Klägerin habe bereits mit der Abschlagsrechnung vom 14.11.2009 kundgetan, das sie 94% der Leistungsphase 5 erfüllt habe und auf dieser Basis ein Honorar in Höhe von 66.740 EUR begehre. Damit habe sie signalisiert, dass die Leistung weitgehend erbracht gewesen sei. Im Laufe der weiteren Kontakte habe sie nicht erkennen lassen, dass sie noch eine weitere Rechnung stellen werde. Es leuchte unmittelbar ein, dass die Beklagte sich an den Angaben der Klägerin in der Abschlagsrechnung ausrichten durfte und nach 6 Jahren nicht mit einer Nachforderung zu rechnen brauchte. Es sei ihr nicht zuzumuten, die geschäftlichen Dispositionen, die sie zu den zwischen den Parteien ausdrücklich vereinbarten Bedingungen getroffen habe, zu revidieren.

Hiergegen richtet sich die Klägerin mit der Berufung, in der sie wie folgt vorträgt: Das Landgericht habe eine Überraschungsentscheidung getroffen. Eine Überraschungsentscheidung liege vor, wenn die tragenden Erwägungen des Urteils im Verfahren nicht erkennbar thematisiert wurden. Ausweislich der Sitzungsprotokolle sei der Gesichtspunkt der Verwirkung nicht thematisiert worden. Das Gericht habe verfahrensfehlerhaft einen Hinweis auf die von ihm ang...

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