Leitsatz (amtlich)

1. Wird in der Berufungsinstanz eine Patentverletzungsklage in einem als "Klageerweiterung" überschriebenen Schriftsatz des erstinstanzlich obsiegenden Berufungsbeklagten auf weitere Ausführungsformen erstreckt, besteht regelmäßig kein Raum für eine berichtigende Auslegung, dass es sich um einen bloß deklaratorischen Hinweis auf kerngleiche Verletzungsformen handele. Vielmehr stellt eine solche Prozesshandlung regelmäßig eine "echte" Klageerweiterung im Wege einer (verdeckten) Anschlussberufung dar.

a) Eine Ausnahme kommt allenfalls dann in Betracht, wenn es sich bei den neuen Ausführungsformen offensichtlich um kerngleiche Verletzungsformen handelt.

b) Vorstehendes scheidet jedenfalls dann aus, wenn das erstinstanzliche Urteil oder (hilfsweise) die Klagebegründung erster Instanz keine Ausführungen zur Auslegung der (vermeintlich) in abgewandelter Form verwirklichten Merkmale enthalten (etwa weil die Verletzung des Klagepatents durch die erstinstanzlich allein streitgegenständlichen Ausführungsformen von vornherein unstreitig war und nur der Rechtsbestand des Klagepatents in Frage stand).

2. Aus §§ 524 Abs. 3 S. 2, 521 Abs. 2 S. 2, 277 ZPO ist keine Pflicht des Berufungsgerichtsgerichts abzuleiten, den Berufungsbeklagten auch über die fristgebundene Möglichkeit einer Anschlussberufung zu belehren. Diese Regelungen beziehen sich aufgrund der gesetzlichen Systematik und ihrer Entstehungsgeschichte allein auf (etwaige) Belehrungspflichten betreffend die Anschlussberufungserwiderung (und ggf. -replik) im Zusammenhang mit der Zustellung der Anschlussberufungsbegründung.

3. Werden weitere Patente erst nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist erteilt, ist eine Erstreckung der Klage auf diese Patente mittels einer Anschlussberufung wegen Fristversäumung (§ 524 Abs. 2 S. 2 ZPO) unzulässig. Abweichendes folgt auch nicht aus dem Zwang zur Klagenkonzentration (§ 145 PatG), weil der Berufungsbeklagte in einem solchen Fall ohne Verschulden gehindert ist, die weiteren Patente noch in dem ursprünglichen Rechtsstreit geltend zu machen.

4. Erklärt sich der Berufungsbeklagte erst am letzten Tag der Berufungserwiderungsfrist mit einer Aussetzung des Verletzungsrechtsstreits einverstanden, obliegt es seinem Prozessbevollmächtigten, dafür Sorge zu tragen, dass die Aussetzung noch innerhalb der Berufungserwiderungsfrist beschlossen und i.S.v. § 329 Abs. 2 ZPO mitgeteilt werden kann: Vorsorglich muss er einen expliziten Antrag auf (erneute) Verlängerung der Berufungserwiderungsfrist stellen, um sicherzustellen, dass ein Neubeginn des Laufes der Berufungserwiderungsfrist nach § 249 Abs. 1 ZPO eintritt.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Urteil vom 03.09.2013; Aktenzeichen 4a O 56/12)

BGH (Aktenzeichen X ZR 5/17)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4a. Zivilkammer des LG Düsseldorf vom 03.09.2013 wird zurückgewiesen.

II. Die Anschlussberufungen der Klägerin gemäß Ziffer A. des Schriftsatzes vom 26.06.2015 (Erweiterung der Klage auf die angegriffene Ausführungsform G) sowie gemäß Ziffer A. des Schriftsatzes vom 03.07.2015 (Erweiterung der Klage auf die angegriffene Ausführungsform H) werden jeweils als unzulässig verworfen.

III. Die Klägerin hat 29 % und die Beklagten haben 71 % der zweitinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin gegen Sicherheistleistung in Höhe von EUR 2.500.000,- abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

V. Die Revision wird - beschränkt auf die Verwerfung der Anschlussberufungen (Ziffer II. des vorliegenden Urteils) - zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen einer Verletzung des deutschen Teils des europäischen Patents...(nachfolgend kurz: "Klagepatent A") auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung, Feststellung der Schadenersatzpflicht dem Grunde nach sowie die Beklagte zu 2) zusätzlich auf Rückruf aus den Vertriebswegen und Vernichtung in Anspruch.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil des LG Düsseldorf vom 03.09.2013 (Blatt 249 - Blatt 279 GA) Bezug genommen. Im Übrigen ist zweitinstanzlich zu ergänzen: Das Bundespatentgericht (Az.: 2 Ni 11/12 (EP)) vernichtete das Klagepatent A mit einem der Klägerin am 24.09.2014 an Verkündungs statt zugestellten Urteil (vgl. Blatt 360 ff. GA). Im Berufungsnichtigkeitsverfahren (Az.: X ZR 96/14) hob der Bundesgerichtshof die Entscheidung des Bundespatentgerichts mit Urteil vom 16.08.2016 auf und wies die diesem Verfahren zugrunde liegende Nichtigkeitsklage ab (Anlage TW 46).

Das LG hat wie folgt für Recht erkannt:

"Die Beklagt...

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