Leitsatz (amtlich)

Hat die Vergabekammer durch Beschluss gegenüber einer gesetzlichen Krankenkasse ein Zuschlagsverbot ausgesprochen, ist dieses Verbot auch dann vollstreckbar, wenn die Krankenkasse beim Sozialgericht eine Anfechtungsklage gegen diesen Beschluss erhoben hat (gegen LSG Baden-Württemberg, Beschl. v. 27.2.2008 - L 5 KR 6136/07 W-A = L 5 KR 6123/07 ER-B).

 

Normenkette

GWB § 114 Abs. 3 S. 2, § 118 Abs. 3; VwVG-NRW § 55; SGG § 86a

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 15.07.2008; Aktenzeichen X ZB 17/08)

 

Tenor

Die Sache wird dem BGH vorgelegt.

 

Gründe

I. Bei den Antragsgegnerinnen handelt es sich um die Allgemeinen Ortskrankenkassen der Bundesrepublik Deutschland. Sie schrieben mit Rundschreiben vom 3.8.2007 und durch Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger vom 6.8.2007 unter dem Titel "Arzneimittel-Rabattverträge 2008/2009" Rabattvereinbarungen gem. § 130a Abs. 8 SGB V aus. Vertragspartner sollten sämtliche Allgemeinen Ortskrankenkassen werden, wobei die AOK Baden-Württemberg als "federführend handelnder Vertragspartner" bezeichnet wurde. Die Ausschreibung erstreckte sich auf insgesamt 83 Wirkstoffe. Je Wirkstoff sollte ein Rabattvertrag mit drei Unternehmen, bei bestimmten verordnungsstarken Wirkstoffen mit vier Unternehmen geschlossen werden. Die Bieter sollten einen bestimmten Prozentsatz angeben, um den ein näher erläuterter Schwellenwert unterschritten werden sollte. Der absolute Rabattbetrag berechnete sich sodann nach einer bestimmten mathematischen Formel, wobei eine Kappungsgrenze bestand. Kriterien für die Auswahl der Angebote je Wirkstoff waren eine näher bezeichnete Produktbreite und Wirtschaftlichkeit. Die Vertragspartner hatten nach § 6 Abs. 3 des Vertrages die Lieferfähigkeit der vereinbarten Arzneimittel an den Großhandel zu gewährleisten und nach § 7 des Vertrages bei Lieferausfällen bestimmte Vertragsstrafen zu bezahlen.

An der Ausschreibung beteiligte sich eine Vielzahl von Unternehmen, u.a. die Antragstellerin, die Angebote auf einen oder mehrere Wirkstoffe abgaben. Mit Schreiben vom 14.9.2007 teilten die Antragsgegnerinnen den Unternehmen das Ergebnis mit. Verschiedene Angebote wurden wegen unzureichender Produktbreite oder unzureichender Wirtschaftlichkeit abgelehnt. Rügen halfen die Antragsgegnerinnen nicht ab.

Daraufhin rief die Antragstellerin, deren Angebot wegen mehrerer Wirkstoffe nicht berücksichtigt worden war, die Vergabekammer bei der Bezirksregierung Düsseldorf an (VK-31/2007-L) an. Sie hat die Auffassung vertreten, bei den Antragsgegnerinnen handele es sich um öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 98 Nr. 2 GWB, weil sie von Gebietskörperschaften - mittelbar - durch Krankenversicherungsbeiträge finanziert würden und staatlicher Aufsicht unterworfen seien. Der Gegenstand der Ausschreibung betreffe öffentliche Lieferaufträge i.S.d. § 99 Abs. 2 GWB. Die Anwendbarkeit des Vergaberechts werde durch § 69 SGB V nicht in Frage gestellt; diese Vorschrift sei vielmehr unter Zugrundelegung der Gesetzgebungsgeschichte und unter Berücksichtigung der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.3.2004 über die Koordinierung der Verfahren öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. EG Nr. L 134, 114 vom 30.4.2004 - zukünftig nur VKR genannt) einschränkend auszulegen. Für die Nachprüfung der Vergabeentscheidung seien nach § 104 GWB die Vergabekammern und nicht - trotz der Vorschriften der § 51 SGG, § 130a Abs. 9 SGB V - die Sozialgerichte zuständig, wie auch die Gesetzgebungsgeschichte ergebe.

In der Sache hat die Antragstellerin verschiedene Vergabefehler gerügt. Es fehlten Angaben zu dem zu erwartenden Lieferumfang für die Wirkstoffe. Das Kriterium Produktbreite sei nicht hinreichend klar beschrieben und intransparent. Den Bietern werde ein ungewöhnliches Wagnis auferlegt. Nach § 5 VOL/L hätten regionale Lose gebildet werden müssen. Die Ausschreibung sei nicht EU-weit erfolgt. Es fehlten Kriterien für die Vergabe der Einzelaufträge. Die Antragsgegnerinnen bildeten ein unzulässiges Einkaufskartell. Sie hätten nicht dafür gesorgt, dass nicht auskömmliche Angebote ausgeschlossen würden. Schließlich genüge die Vorab-information der Antragsgegnerinnen nicht der Vorschrift des § 13 VgV.

Die Antragsgegnerinnen sind dem entgegen getreten.

Die vergaberechtlichen Vorschriften des GWB seien nicht einschlägig. Sie seien bereits nicht als öffentliche Auftraggeber i.S.d. § 98 Nr. 2 GWB anzusehen. Weder würden sie durch öffentliche Körperschaften überwiegend finanziert (diese erfolge vielmehr durch Krankenversicherungsbeiträge, deren gesetzliche Anordnung reiche für den geforderten staatlichen Einfluss nicht aus) noch würden sie als Selbstverwaltungskörperschaften hinreichend intensiv durch Gebietskörperschaften beaufsichtigt. Bei den ausgeschriebenen Verträgen handele sich zudem nicht um öffentliche Lieferaufträge i.S.d. § 99 Abs. 2 GWB, denn die Bieter verpflichteten sich nicht zu Lieferungen an die Antragsgegnerinnen. Da sie keinen Einfluss dar...

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