Verfahrensgang

AG Neuss

 

Tenor

Das AG Neuss (Familiengericht) wird als zuständiges Gericht bestimmt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten sind getrennt lebende Eheleute. Die Antragstellerin hat die irakische Staatsangehörigkeit, der Antragsgegner ist deutscher Staatsbürger.

Die Antragstellerin hat mit einem im April 2013 bei dem AG Neuss (Familiengericht) eingegangenen Schriftsatz um Verfahrenskostenhilfe für das vorliegende Verfahren auf Zahlung von Trennungsunterhalt nachgesucht. Zu dieser Zeit lebte sie bereits bei ihrer Mutter im Irak. Der Antragsgegner hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk des AG Neuss, bei dem seit Juni 2013 auch das Scheidungsverfahren rechtshängig ist.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das AG Neuss das Verfahren gestützt auf § 28 AUG an das AG Düsseldorf abgegeben. Dieses hat die Übernahme abgelehnt mit der Begründung, die Zuständigkeitskonzentration in § 233 FamFG gehe der Regelung des § 28 AUG vor.

II. Die Bestimmung des zuständigen Gerichts richtet sich nach § 36 ZPO. Denn nach § 113 Abs. 1 S. 1, 2 FamFG tritt bei Ehesachen und bei Familienstreitsachen i.S.d. § 112 FamFG, wie hier nach § 112 Nr. 1 i.V.m. § 231 Abs. 1 Nr. 2 FamFG, an die Stelle des § 5 FamFG die entsprechende Vorschrift der ZPO.

Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor; sowohl das AG Neuss als auch das AG Düsseldorf haben sich - jeweils durch den Beteiligten bekannt gemachte Entscheidungen - für örtlich unzuständig erklärt. Diese wechselseitige Kompetenzleugnung reicht für die Anwendung des § 36 ZPO aus, obwohl diese Bestimmung für eine Zuständigkeitsbestimmung grundsätzlich die Rechtshängigkeit voraussetzt; denn vorliegend befindet sich das Verfahren noch im Stadium der Verfahrenskostenhilfeprüfung.

Zuständig i.S.d. § 117 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Entscheidung über die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist das AG Neuss. Dies folgt entgegen der Annahme des AG Düsseldorf allerdings nicht aus dem hier ohnehin nicht einschlägigen § 233 FamFG.

Maßgebend für die Zuständigkeit ist hier allein Art. 3 Buchstabe a der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 (EuUnterhVO); § 28 AUG ist nicht anzuwenden, weil sich diese Bestimmung nicht in den durch die EuUnterhVO gezogenen Grenzen hält.

Die Art. 3, 6 und 7 der EuUnterhVO enthalten unmittelbar geltende Zuständigkeitsbestimmungen, die für einen Rückgriff auf innerstaatliche Regelungen, wie z.B. § 232 FamFG, keinen Raum lassen und dem nationalen Gesetzgeber ein Abweichen nicht erlauben.

Art. 3 EuUnterhVO legt sowohl die internationale als auch die örtliche Zuständigkeit fest, wie sich vor allem aus dem Wortlaut bei Buchstaben a und b ("Gericht des Ortes") ergibt.

Soweit es um isolierte Unterhaltsverfahren geht, ist örtlich zuständig das Gericht, bei dem der "Beklagte" (Buchstabe a), wie hier der Antragsgegner, oder der Berechtigte (Buchstabe b) seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Von diesen Vorgaben weicht § 28 AUG für den Fall ab, dass ein Beteiligter seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Inland hat, und bestimmt statt des nach Art. 3 Buchstaben a oder b EuUnterhVO an sich für den gewöhnlichen Aufenthalt örtlich zuständigen AG dasjenige am Sitz des OLG (Abs. 1). Abs. 2 ermächtigt die Länder zudem zu einer abweichenden Zuweisung bzw. weiter gehenden Konzentration.

Im Hinblick auf diese Abweichungen des § 28 AUG wird diese Bestimmung als "EU-widrig" (so Hüsstege in Thomas/Putzo, ZPO, 34. Aufl. 2013, vor § 1 AUG, Rz. 7) oder zumindest als "europarechtlich fragwürdig") angesehen (MünchKomm/Lipp, FamFG, 2. Aufl. 2013, Art. 3 EG-UntVO Rz. 11, Prütting/Helms-Hau, FamFG, 2. Aufl. 2011, § 110 Anhang 3, Rz. 44; Hau FamRBint 2012, 19, 20).

Der Senat teilt die Bedenken und hält § 28 Abs. 1 AUG vorliegend für nicht anwendbar.

Insbesondere trifft es aus den bei MünchKomm/Lipp, a.a.O., Art. 3 EG-UntVO, Rz. 11 genannten Gründen nicht zu, dass § 28 AUG eine rein gerichtsorganisatorische Maßnahme sei, die einer Regelung auf nationaler Ebene zugänglich sei. Diese These wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/488, 42) auch nicht näher begründet.

Der Senat sieht keine Veranlassung, das Verfahren gem. Art. 267 AEUV dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen. Denn der Anwendungsvorrang des EU-Rechts gegenüber nationalen Bestimmungen ist in Rechtsprechung und Rechtslehre anerkannt und die Frage der Vereinbarkeit nationaler Bestimmungen mit Vorschriften des EU-Rechts fällt allein in die Kompetenz der nationalen Gerichte. Der Europäische Gerichtshof ist weder befugt, über die Richtigkeit der Auslegung nationaler Rechtsvorschriften durch das vorlegende Gericht zu entscheiden, noch sich im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens zur Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht zu äußern. Es steht dem Gerichtshof lediglich zu, die Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auszulegen, um dem vorlegenden Gericht alle sich aus dem Gemeinschaftsrecht ergebenden zweckdienlichen Hinweise zu geben, damit es den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheiden kann (s...

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