Leitsatz (amtlich)

Die nach § 2256 Abs. 1 Satz 2 BGB gesetzlich vorgesehene, für jemanden, der in Rechtsfragen bewandert ist, schwerlich misszuverstehende, Belehrung des Erblassers dahin, dass das vor einem Notar errichtete Testament durch die Rückgabe als widerrufen gilt ("Dieses Testament gilt durch die am 9.2.2005 erfolgte Rückgabe aus der amtlichen Verwahrung als widerrufen.") ist, schließt einen anfechtungsrelevanten Irrtum des nicht rechtskundigen Erblassers, über die Widerrufswirkung nicht von vorneherein und regelmäßig nicht ohne nähere Prüfung aus.

(Dass der Erblasser sich über die Wirkungen der Rücknahme des Testaments aus der amtlichen Verwahrung nicht im Klaren war, folgte hier aus dem Umstand, dass der Erblasser kurze Zeit nach der Rücknahme der notariellen Testamente aus der amtlichen Verwahrung mehrmals ausdrücklich verfügt hatte, er müsse sein Testament ändern, er sei nicht mehr in der Lage, seiner Tochter das versprochene Geld zu vermachen.).

 

Normenkette

BGB §§ 142, 2078 Abs. 1 S. 1, § 2080 Abs. 1, § 2256 Abs. 1 S. 1, § 2256 S. 2, § 2257

 

Verfahrensgang

AG Duisburg (Beschluss vom 10.11.2014; Aktenzeichen 42a VI 215/14)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 9.12.2014 wird der Beschluss des AG Duisburg - Nachlassgericht - vom 10.11.2014 - 42a VI 215/14 - geändert.

Das Nachlassgericht wird angewiesen, der Beteiligten zu 1) den beantragten Erbschein zu erteilen.

Die gerichtichen und die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beteiligte zu 2).

Wert des Streitgegenstandes: bis 200.000 EUR

 

Gründe

I. Die Beteiligte zu 2) ist die Tochter der Erblasserin, die Beteiligte zu 1) deren Enkelin und Tochter der Beteiligten zu 2).

Die Beteiligte zu 1) lebte mit der Erblasserin in deren Haus und pflegte und versorgte sie bis zu deren Tod.

Die Erblasserin hinterließ ein Schreiben mit Datum vom 2.2.1995 an die Beteiligte zu 1), in dem es unter anderem hieß, dass diese, sollte der Erblasserin etwas zustoßen, "mit diesem Schreiben und dem Testament zu einem Notar" gehen solle, der dann alles regeln werde.

Mit notariellem Testament vom 5.4.2001 setzte die Erblasserin die Beteiligte zu 1) als ihre alleinige Erbin ein und bestimmte, dass die Beteiligte zu 2) weder erb- noch pflichtteilsberechtigt sein solle, weil sie sich weder um den verstorbenen Ehemann der Erblasserin - ihren Vater, noch um die Erblasserin gekümmert habe.

Mit einem weiteren notariellen Testament vom 12.4.2001 ergänzte sie - nach reiflicher Überlegung - das vorhergehende notarielle Testament dahin, dass sie ihrer Enkelin aufgab, an die Beteiligte zu 2) als Vermächtnis einen einmaligen Betrag von 30.000 DM innerhalb von 6 Wochen nach ihrem Tod zu zahlen.

Beide Testamente gab der Notar in amtliche Verwahrung beim AG.

Offenbar erkrankte die Erblasserin Ende 2004/Anfang 2005 für etwa ein Jahr schwer und war Tag und Nacht pflegebedürftig.

Am 9.2.2005 erschien sie beim Nachlassgericht und beantragte die Rückgabe der beiden notariellen Testamente. Ausweislich des Rückgabeprotokolls wurde sie belehrt, dass das vor einem Notar errichtete Testament durch die Rückgabe als widerrufen gilt. Nach dieser Belehrung wurde auf den Testamenten vermerkt "Dieses Testament gilt durch die am 9.2.2005 erfolgte Rückgabe aus der amtlichen Verwahrung als widerrufen."

Am 13.4.2005 legte sie fest, dass sie keine sterbeverlängernden Mittel wünsche, eingeäschert und in der gemeinsamen Gruft beigesetzt werden wolle.

Am 24.5.2005 verfasste und unterschrieb sie folgenden Text:

"Zu meinem Testament.

Ich muss etwas abändern. Da ich durch meine Krankheit ein 1/2 Jahr eine Pflege brauchte rund um die Uhr, ist mein erspartes alle soweit geschrumpft dass ich von meinem Testament nicht viel übrig habe. Also muss ich das Geld was meine Tochter erben soll streichen."

Am 3. Aug. 2006 erstellte und unterschrieb sie - einmal mit Bleistift und einmal mit Kugelschreiber - die folgenden Texte:

"Betrift mein Testament.

Ich muss mein Testament ändern.

Da ich ein ganzes Jahr krank war und Pflege tag und Nach benötigte die ich selbst zahlen musste, bin ich nicht mehr in der Lage meiner Tochter das Geld aus meinem testament zu vermachen. Ich habe meine Barschaft alle verbraucht."

"Betrifft mein Testament!

Ich muss mein Testament andern. Da ich im letzten Jahr krank war und pflege Tag und nacht benötigte, die ich selbst zahlen musste. Dabei ist meine Barschaft drauf gegangen. Besitze kein Geld mehr zum vererben."

Nachdem der Beteiligten zu 1) am 16.7.2014 die notariellen Testamente zugeleitet worden waren, erklärte sie mit Schreiben ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 6. Aug. 2014 vorsorglich und hilfsweise die Anfechtung des - in der Rücknahme liegenden - Widerrufs der notariellen Testamente. Die Rechtsfolgen seien der Erblasserin unbekannt gewesen. Sie sei nicht davon ausgegangen, dass die notariellen Testamente durch die Rückgabe aus der amtlichen Verwahrung als widerrufen gelten würden.

Den Erbscheinsantrag der Beteiligen zu 1) vom 22. Aug. 2014 (Alleinerbschein aufgrund Verfügung von T...

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