Leitsatz (amtlich)

Die dem Betreiber eines Seniorenheims obliegenden Obhutspflichten sind begrenzt auf die Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind und die die Würde, die Selbstständigkeit und die Selbstbestimmung der Bewohner wahren. Auch im Falle einer demenzkranken und an einer Gleichgewichtsstörung leidenden Bewohnerin mit Weglauftendenzen, die sich nur mit Hilfe eines Rollators fortbewegen kann, aber von ihrer Betreuerin bewusst in einer offenen Einrichtung untergebracht worden ist, ist er nicht gehalten, ihr durchgängig einen "Aufpasser" zur Seite zu stellen. Er handelt auch nicht pflichtwidrig, wenn er in Abstimmung mit der Betreuerin davon absieht, die Bewohnerin mit einem Weglaufarmband zu versorgen, weil sie ohnehin lediglich etwa 50 m ohne fremde Hilfe zurücklegen kann. Kommt die Bewohnerin daher zu Fall und erleidet Frakturen, weil sie sich unbegleitet fortbewegt hat, so verwirklicht sich ihr allgemeines Lebensrisiko. Das hat der gesetzliche Krankenversicherer ebenso hinzunehmen wie er es zu akzeptieren hat, wenn ein jüngerer Versicherter eine Risikosportart ausübt und sich dadurch einem erhöhten Verletzungsrisiko aussetzt.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Aktenzeichen 3 O 263/14)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussverfahren zurückzuweisen. Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, hierzu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

Der auf den 28.6.2016 bestimmte Termin zur mündlichen Verhandlung wird aufgehoben.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit der Behandlung der bei ihr gesetzlich krankenversicherten M. R. (im Folgenden: Geschädigte). Die Beklagte betreibt ein Altenpflegeheim und betreut dort unter anderem auch demenzkranke Bewohner. Es handelt sich um eine offene Einrichtung, weshalb kein geschützter oder geschlossener Bereich, den die Heiminsassen nicht verlassen könnten, vorhanden ist. Hierfür hatte sich die Tochter der Geschädigten, die ihre Betreuerin ist, bewusst entschieden.

Die Geschädigte lebte seit dem 24.11.2009 in der Einrichtung der Beklagten. Sie litt unter anderem an Demenz, Osteoporose und Arthrose und war in Pflegestufe II eingruppiert. Sie war zeitlich und örtlich sowie zu ihrer Person desorientiert, litt unter Gleichgewichtsstörungen und hatte Weglauftendenzen. Sie konnte sich mit einem Rollator selbstständig fortbewegen, bedurfte aber wegen der Orientierungsstörung, beispielsweise beim Aufsuchen des Speisesaals, einer Begleitung. Aufgrund ihres Bewegungsdrangs bekam die Geschädigte in Absprache mit ihrer Betreuerin im Jahr 2010 ein sog. "Weglaufarmband", welches ein akustisches Signal abgibt, wenn der jeweilige Bewohner versucht, das Haus zu verlassen. Im Frühjahr 2011 wurde in Absprache mit der Betreuerin das Weglaufarmband abgelegt, da die Geschädigte körperlich weiter eingeschränkt war und nur noch ca. 50 m laufen konnte. Um die Folgen etwaiger Stürze der Geschädigten abzumildern, erhielt sie als prophylaktische Maßnahme sog. Hüftprotektoren.

Am 22.7.2011 fiel die Geschädigte in der Einrichtung der Beklagten hin. Auch am 26.9.2011 stürzte sie, wobei sie sich Hämatome im linken Handgelenk und eine Fraktur des Schlüsselbeins zuzog.

Am 14.10.2011 wurde die Geschädigte gegen 11:00 Uhr noch in ihrem Zimmer angetroffen. Sie verließ die Einrichtung der Beklagten sodann unbemerkt und wurde gegen 11:30 Uhr auf dem Straßenboden des Bellscheider Weges sitzend aufgefunden. Durch den Sturz erlitt sie eine Armfraktur, welche eine 2-wöchige Krankenhausbehandlung erforderlich machte.

Die Klägerin hat gemeint, die der Beklagten obliegende Obhutspflicht zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Geschädigten erfordere, dass für diese durchgehend eine Begleitung zur Verfügung stehe. Jedenfalls bestünden vertragliche Verpflichtungen, hinreichend sichere Maßnahmen gegen ein erneutes Weglaufen zu treffen. Diese habe das Personal der Beklagten nicht getroffen und deshalb schuldhaft gehandelt. Des Weiteren behauptet die Klägerin, für die Geschädigte Leistungen im Wert von insgesamt EUR 12.775,09 erbracht zu haben, zu denen sie näher vorgetragen hat.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 12.775,09 zuzüglich Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.2.2012 sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von EUR 958,19 zuzüglich Zinsen i.H.v. 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5.8.2014 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat darauf hingewiesen, dass die Geschädigte aufgrund ihrer Erkrankungen allgemein einer erhöhten Sturzgefahr ausgesetzt gewesen sei. Es habe ihr jedoch nicht verwehrt werden können, sich frei zu bewegen, was für ihre Mobilität wichtig gewesen sei. Auch ihre Betreuerin habe darauf Wert gelegt, dass die Bewegungsfreiheit der Geschädigten nicht durch freiheitsentziehende Maßnahmen eingeschränkt werde, sondern...

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