Leitsatz (amtlich)

Die Obhutspflicht eines Pflegeheimbetreibers, deren Verletzung grundsätzlich der Geschädigte zu beweisen hat, ist auf die Maßnahmen, die in Pflegeheimen mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind, begrenzt; liegt eine konkrete Gefahrensituation für den Heimbewohner nicht vor, so ist dieser nicht ständig zu überwachen.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 280, 823, 831; HeimG § 3

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Aktenzeichen 3 O 74/09)

 

Tenor

Der Senat beabsichtigt, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, hierzu binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

Der für den 23.3.2010 geplante Senatstermin findet nicht statt.

 

Gründe

Die Berufung der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg. Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das Vorbringen der Klägerin in der Berufungsbegründung vom 2.9.2009 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

I. Der Klägerin steht ein gem. § 116 Abs. 1 SGB X übergegangener Anspruch der Versicherten nicht zu, den sie erfolgreich gegen die Beklagte geltend machen könnte, und zwar weder auf vertraglicher (§§ 611, 278, 280 Abs. 1 BGB) noch auf deliktischer Grundlage (§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB, § 831 BGB). Eine differenzierte Prüfung der hier genannten vertraglichen und deliktischen Anspruchsgrundlagen ist nicht erforderlich, weil sich das jeweils entscheidende Tatbestandsmerkmal, nämlich die in Betracht zu ziehende Verletzungshandlung (Verletzung der Aufsichtspflicht) weder nach seinen vertraglichen und deliktischen Voraussetzungen noch nach seinem jeweiligen Umfang unterscheidet (vgl. auch Senat, RDG 2009, 223 ff. = OLGR 2009, 535 ff.).

1. Eine Haftung der Beklagten für die Kosten, die der Klägerin im Zusammenhang mit dem Sturz der Frau K. (im Folgenden: Versicherte) am 8.8.2006 im Treppenhaus der Beklagten entstanden sind, scheidet aus. Ihre Pflicht aus dem Heimvertrag, den anvertrauten Heimbewohnern zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit Obhut und Aufsicht zu gewähren, hat die Beklagte nicht verletzt (vgl. hierzu auch BGH NJW 2005, 1637; 2613; Senat RDG 2009, 221 ff.; OLG Düsseldorf VersR 2008, 1079; OLG Hamm OLGReport Hamm 2006, 569; OLG Koblenz NJW-RR 2002, 867).

Zwar ist der genaue Inhalt des zwischen der bei der Klägerin Versicherten und der Beklagten geschlossenen Heimvertrages nicht bekannt, weil die Parteien ihn nicht in das Verfahren eingeführt haben. Ausweislich des von der MDK Nordrhein unter dem 26.1.2005 erstellten Gutachtens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit befand sich die Versicherte seit dem 4.6.2003 in der Obhut der Beklagten. Im Hinblick darauf ist davon auszugehen, dass es sich um einen der Bestimmung des § 5 HeimG i.d.F. vom 23.7.2002 unterliegenden Heimvertrag handelt, der die Heime gem. § 3 HeimG (i.d.F. vom 5.11.2001) verpflichtet, ihre Leistungen nach dem jeweils anerkannten Stand fachlicher Erkenntnisse zu erbringen. Die der Beklagten daraus erwachsene Obhutspflicht war allerdings begrenzt auf die Maßnahmen, die in Pflegeheimen mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab sind das Erforderliche sowie das für die Heimbewohner und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist insb. die menschliche Würde der Bewohner zu beachten. Daraus folgt, dass deren Interesse und Bedürfnis nach einem möglichst selbstbestimmten und selbstverantwortlichen Leben auch in der Heimunterbringung zu wahren und zu fördern und vor unzumutbaren Beeinträchtigungen zu schützen ist (vgl. BGH NJW 2005, 1937; OLG Düsseldorf RDG 2009, 221 ff.; RDG 2009, 223 ff.; VersR 2008, 1079).

2. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann nicht festgestellt werden, dass der Unfall der Versicherten auf einer Pflichtverletzung der Beklagten oder ihrer Mitarbeiter beruht. Die vorwiegend bettlägerige Versicherte wurde regelmäßig 3-4 Mal die Woche mobilisiert, indem sie in einen Rollstuhl gesetzt und mit einem Haltegurt gesichert wurde. Ob die Versicherte den Rollstuhl überhaupt selbst bewegen konnte oder darauf angewiesen war, von Dritten geschoben zu werden, bedarf keiner weiteren Aufklärung. Denn in beiden Fällen wäre der Beklagten keine Pflichtverletzung im Hinblick auf das konkrete Unfallgeschehen vorzuwerfen.

Letztlich ist offen geblieben und auch nicht mehr aufzuklären, wie die Versicherte überhaupt in das Treppenhaus gelangen konnte. Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien ist die dahin führende Tür zwar stets geschlossen, aber nicht abgeschlossen und zudem mit einem Mechanismus versehen, der ein automatisches Schließen der Tür gewährleistet. Da keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen und ersichtlich sind, dass der Mechanismus am Unfalltag nicht ordnungsgemäß funktioniert hat, kann die Versicherte deshalb nur in das Treppenhaus gelangt sein, indem sie die Tür entweder selbständig geöffnet hat oder sie ihr von einem Dritten geöffnet wurde.

Ersteres ist sehr unwahrscheinlich. Die Tür dürfte für eine im Rollstuhl sitzende ...

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