Leitsatz (amtlich)

1. Geschieht der Unfall eines Patienten in einem Landeskrankenhaus im üblichen, alltäglichen Gefahrenbereich hat der Geschädigte den vollen Beweis zu führen, dass der Träger der Pflegeeinrichtung Obhutspflichten verletzt hat.

2. Zur Vermeidung eines Sturzes ist der Patient einer Pflegeeinrichtung weder ständig zu fixieren noch ununterbrochen zu überwachen, es sei denn im Einzelfall erforderten konkrete Hinweise auf eine Sturzgefahr eine entsprechende Maßnahme (hier verneint).

3. Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung wiederkehrender freiheitsentziehender Maßnahmen ist kein an die Krankenhausleitung gerichteter "Befehl zum Handeln", sondern die gerichtliche Erlaubnis zu derartigen Maßnahmen nach pflichtgemäßem Ermessen des Betreuers.

 

Normenkette

BGB §§ 611, 280, 823

 

Verfahrensgang

LG Mönchengladbach (Aktenzeichen 6 O 370/08)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gem. § 522 Abs. 2 ZPO im Beschlussverfahren zurückzuweisen. Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu den Gründen binnen einer Frist von zwei Wochen schriftsätzlich Stellung zu nehmen.

2. Der für den 7.9.2010 geplante Senatstermin entfällt

 

Gründe

Das Rechtsmittel hat keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das LG hat die auf Zahlung von Schadensersatz (7.819,16 EUR nebst Zinsen) gerichtete Klage nach erfolgter Beweisaufnahme zu Recht abgewiesen. Infolge des Unfallereignisses vom 11.6.2006 in dem von der Beklagten betriebenen Landeskrankenhaus hat die klagende Krankenkasse keinen kraft Gesetzes auf sie übergegangenen Schadensersatzanspruch des bei ihr versicherten Patienten G. (künftig: Versicherter) aus §§ 611, 280 Abs. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 1 BGB jeweils i.V.m. § 116 Abs. 1 SGB X. Die gegen das Urteil vorgebrachten Berufungseinwände rechtfertigen keine der Klägerin günstigere Entscheidung.

I.1. Richtig ist, dass der Beklagten aus dem Krankenhausaufnahmevertrag (nicht Heimvertrag, wie das LG eingangs der Entscheidungsgründe offensichtlich versehentlich den Kontrakt bezeichnet) und inhaltsgleich aus der sie treffenden deliktischen Verkehrssicherungspflicht Obhutspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit des ihr anvertrauten Versicherten erwuchsen. Eine schuldhafte Verletzung dieser Pflichten ist daher geeignet, einen Schadensersatzanspruch sowohl aus positiver Verletzung des Krankenhausaufnahmevertrags gem. §§ 280 Abs. 1, 249 ff. BGB als auch einen damit konkurrierenden deliktischen Anspruch gem. §§ 823, 831 bzw.§ 31 BGB zu begründen (vgl. OLG Düsseldorf (8. ZS) GesR 2006, 214 zur Krankenhauspflege; BGH NJW 2005, 1937 und 2613; OLG Düsseldorf VersR 2008, 1079; RDG 2009, 221 und 223 jew. zur Altenwohnheimpflege).

2. Diese Pflichten sind aber begrenzt auf die in derartigen Pflegeeinrichtungen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind. Maßstab sind das Erforderliche sowie das für die Patienten und das Pflegepersonal Zumutbare. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass mit der stationären Behandlung und Pflege in einer geschlossenen geronto-psychiatrischen Abteilung, in welche der zur Unfallzeit 77-jährige, seit Mai 2005 in einem Altenpflegeheim lebende Versicherte Ende Mai 2006 auf Veranlassung seiner Betreuerin aufgenommen worden ist, die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Patienten vor vermeidbaren Beeinträchtigungen zu schützen und die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Patienten zu wahren und zu fördern sind (vgl. OLG Düsseldorf [8. Zivilsenat], a.a.O.; BGH, a.a.O.; Senat, a.a.O.). Die zu erbringenden Leistungen richten sich nach dem jeweils allgemein anerkannten Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse (BGH NJW 2005, 2613; Senat, a.a.O.), wozu insbesondere auch die nachhaltige Förderung der Mobilität der Patienten in dem ihnen jeweils angemessen Maße gehört (OLG Düsseldorf [8. Zivilsenat], a.a.O.).

3. Aus dieser vielschichtigen Situation folgt in Schadensfällen eine nach Risikosphären zu differenzierende Darlegungs- und Beweislast, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Befand sich der Geschädigte (Patient, Bewohner) zum Unfallzeitpunkt in einer konkreten, eine besondere Sicherungspflicht des Obhutspflichtigen auslösenden Gefahrenlage, hat der Obhutspflichtige (Krankenhaus-, Altenheimträger) darzulegen und notfalls zu beweisen, dass der Unfall nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten der Ärzte oder des Pflegepersonals beruhte. Hat sich der Unfall dagegen im üblichen, alltäglichen Gefahrenbereich, der grundsätzlich in der eigenverantwortlichen Risikosphäre des Geschädigten verbleibt, zugetragen, ändert sich an der allgemeinen Verteilung der Darlegungs- und Beweislast nichts. Der Geschädigte muss als derjenige, der einen Anspruch geltend macht, hier zunächst auf der Ebene der schadensbegründenden Kausalität (§ 286 ZPO) den vollen Beweis führen, dass der Träger der Pflegeeinrichtung Obhutspflichten verletzt hat. Hat er diesen Beweis geführt und kommt es dann im Rahmen der schadensausfüllenden Kausalität (§ 287 ZP...

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