Leitsatz (amtlich)

1. Zum Begriff "Fahrzeuge des Rettungsdienstes".

2. Fahrzeuge, die zu den klassischen Aufgaben des Rettungsdienstes eingesetzt werden, sind als qualifizierte Fahrzeuge iSd § 35 Abs. 5a StVO anzusehen, unabhängig von der Trägereigenschaft des Rettungsdienstes.

 

Verfahrensgang

AG Krefeld

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Der Betroffene wird freigesprochen.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Staatskasse auferlegt.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Krefeld hat durch das angefochtene Urteil gegen den Betroffenen wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 160,-- € verhängt.

Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 21. März 2009 als an diesem Tage eingesetzter Fahrer in Krefeld den Nassauer Ring mit einem Notarztwagen, in dem sich auch der als Notarzt eingesetzte Zeuge Dr. R. befand. Von der Einsatzzentrale des ärztlichen Notdienstes war ein Notruf mit Hinweis auf eine Person mit akuter Atemnot und Brustschmerz, und damit Verdacht auf einen Herzinfarkt, weitergeleitet worden. Das von dem Betroffenen geführte Fahrzeug wurde in der Folge mit einer Geschwindigkeit von 88 km/h durch eine mobile Radarüberwachungsanlage erfasst.

Das Amtsgericht hat die Auffassung vertreten, dass der Betroffene nicht befugt gewesen sei, Sonderrechte gemäß § 35 Abs. 5a StVO in Anspruch zu nehmen. Diese Rechte seien "in erster Linie" für den "Rettungsdienst" vorgesehen. Der von dem Betroffenen geführte Notarztwagen sei nicht als "Rettungsfahrzeug" in diesem Sinne anzusehen. Ein Notfall habe auch nicht vorgelegen, denn bei Vorliegen eines solchen wäre es sinnvoller gewesen, einen "Rettungswagen" zu dem Patienten zu schicken.

Gegen das Urteil hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und deren Zulassung beantragt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Das Rechtsmittel ist begründet und führt unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung zum Freispruch.

II.

Die Rechtsbeschwerde war durch den Einzelrichter zutreffend zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen.

1.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts dient dazu, bei der Auslegung von Rechtssätzen und der rechtsschöpferischen Ausbildung von Gesetzeslücken Leitsätze aufzustellen und zu festigen. Mit der Zulassung der Rechtsbeschwerde soll das Rechtsbeschwerdegericht Gelegenheit erhalten, seine Rechtsauffassung in einer für die nachgeordneten Gerichte richtunggebenden Weise zum Ausdruck zu bringen. Dieser Zulassungsgrund setzt voraus, dass die in Rede stehende Rechtsfrage entscheidungserheblich und klärungsbedürftig ist (vgl. BGH St 24, 15, 21/22; OLG Düsseldorf, 1. Senat für Bußgeldsachen, VRS 85, 373; OLG Hamm NJW 1995, 2937 mwN). Davon ist vorliegend auszugehen. Denn der Senat ist aufgerufen, zur Begrifflichkeit der Fahrzeuge des Rettungsdienstes iSd § 35 Abs. 5a StVO und zur Inanspruchnahme von Sonderrechten durch Fahrer derartiger Fahrzeuge rechtsfortbildend Stellung zu nehmen.

2.

Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Zulassung geboten, wenn sonst schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortdauern würden und die Gefahr der Wiederholung in einer fehlerhaften Rechtsanwendung droht (vgl. BGH St 24, 15, 22; Senat, NZV 1992, 497; NStZ 1991, 395, 396; VRS 78, 140; OLG Düsseldorf, 1. Senat für Bußgeldsachen, VRS 88, 211). Auch insoweit ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Denn es ist angesichts der Urteilsbegründung zu befürchten, dass das Amtsgericht auch in künftigen Entscheidungen rechtsfehlerhaft die Anwendung des § 35 Abs. 5 a StVO in vergleichbaren Fällen ablehnen wird.

3.

Gemäß § 35 Abs. 5a StVO sind Fahrzeuge des Rettungsdienstes von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung und damit auch von der Beachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß § 3 Abs. 3 StVO befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.

Bei Einsatzfahrten, bei denen es wegen einer akuten Notsituation für eine betroffene Person dringend geboten ist, schneller zum Einsatzort zu gelangen, als es bei Beachtung der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften möglich wäre, sind die Regeln der Straßenverkehrsordnung insgesamt nicht anwendbar (vgl. BayObLG St 1983, 37, 38). Diese Ausnahme gilt auch für Fahrzeuge eines Rettungsdienstes, dessen Träger ein privates Unternehmen ist (vgl. BGH 3. Zivilsenat, NJW 1991, 2954; OLG Köln VRS 59, 382, 383). Zudem ist für die Berechtigung zur Inanspruchnahme der Sonderrechte nicht erforderlich, dass für die entsprechende Einsatzfahrt am Fahrzeug befindliche Warneinrichtungen (Signalhorn und Blinklicht) eingeschalt...

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