Leitsatz (amtlich)

Es kann im Einzelfall eine datenschutzrechtlich zulässige Zweckänderung darstellen, wenn ein Rechtsanwalt durch Akteneinsicht erlangte Daten von Insolvenzgläubigern nutzt, um diese in einem Rundschreiben auf ihre Rechtsschutzmöglichkeiten hinzuweisen, selbst wenn er damit auch Akquisezwecke verfolgt.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 539/23)

 

Tenor

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 05.07.2023, Az. 7 O 539/23, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf insgesamt 6.500,00 EUR festgesetzt (Klageantrag zu 1): 1.500,- EUR, Klageantrag zu 2): 5.000,- EUR).

 

Gründe

(abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 2 i.V.m. 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO)

I. Die zulässige Berufung der Kläger ist nicht begründet. Den Klägern stehen gegen den Beklagten weder die mit der Berufung geltend gemachten Schadensersatz- noch Unterlassungsansprüche wegen der Verwendung ihrer Daten zu.

A. Die Datenverarbeitung durch den Beklagten ist im Ergebnis der nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO vorzunehmenden Abwägung gerechtfertigt, so dass offenbleiben kann, ob der aus Art. 82 DSGVO folgende Schadensersatzanspruch wegen des fehlenden Nachweises eines auf einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung beruhenden Schadens unbegründet ist.

1. Nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO ist eine Verarbeitung rechtmäßig, wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen. In die danach erforderliche Abwägung einzubeziehen ist jedes rechtliche, wirtschaftliche oder ideelle Interesse des Verantwortlichen oder eines Dritten.

a) Als berechtigtes Interesse an der Verwendung von Namen und Anschrift der Kläger für das Schreiben vom 18.05.2022 hat der Beklagte glaubhaft dargelegt, dass er als vornehmlich auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes und damit auch mit Blick auf das Gemeinwohl tätiger Rechtsanwalt für Bank- und Kapital- sowie Versicherungsrecht vor allem insolvenzgeschädigte Kleinanleger auf bestehende rechtliche Möglichkeiten hinweisen wollte. Die Wahrnehmung von Verbraucherschutzinteressen als Schwerpunkt seiner beruflichen Tätigkeit wird belegt durch Presseberichte (vgl. Beitrag Finanztest vom 17.12.2013 (Anlage B1)) und den Internetauftritt seiner Kanzlei, die diesen Interessenschwerpunkt widerspiegelt.

Daneben ist im Rahmen der Abwägung auch das wirtschaftliche Interesse des Beklagten an der Datenverarbeitung zu Akquisezwecken als berechtigtes Interesse einzustellen, da das Schreiben zumindest auch darauf abzielte, von den Adressaten mandatiert zu werden. In Erwägungsgrund Nr. 47 zur DSGVO wird ausdrücklich klargestellt, dass die Durchführung von Direktmarketingmaßnahmen als berechtigtes Interesse betrachtet werden kann, deren Zulässigkeit vermutet wird. Nichts anderes kann für alle sonstigen Werbemaßnahmen gelten, zu denen das streitgegenständliche Schreiben zählt. Eine Verarbeitung personenbezogener Daten zu Werbezwecken kann damit grundsätzlich auf den Erlaubnistatbestand der Interessenabwägung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f gestützt werden (Plath/Struck in: Plath, DSGVO/BDSG/TTDSG, 4. Auflage 2023, Art. 6 EUV 2016/679, Rn. 79, 80 m.w.N.).

b) Auf Seiten der Kläger steht ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das gegen die unbefugte Nutzung ihrer Namens- und Adressdaten für Werbezwecke streitet, auch vor dem Hintergrund des Bekanntwerdens ihrer "Geschädigtenstellung" bei einem fehlgeschlagenen Investment und Einzelheiten ihrer finanziellen Situation, sowie ihr Interesse am Schutz ihrer allgemeinen Persönlichkeitsrechte vor Belästigung durch unerwünschte Werbung und aufgedrängten Informationen.

c) Die somit nach Art. 6 Abs. 1 lit. f) DSGVO erforderliche Abwägung ergibt, dass die Verarbeitung durch den Beklagten als Verantwortlichen rechtmäßig ist, da die Interessen, Grundrechte und Grundfreiheiten der Kläger als betroffene Personen am Schutz ihrer Daten nicht überwiegen.

aa) Der Beklagte hat mit der Versendung des Schreibens vom 18.05.2022 nicht gegen standes- bzw. berufsrechtliche Pflichten oder Wettbewerbsvorschriften verstoßen. Ein solcher Verstoß wäre zwar bei der Interessenabwägung maßgeblich zu seinen Lasten zu berücksichtigen, liegt indes entgegen der Ansicht der Berufung nicht vor.

(1) Das standardmäßig formulierte Schreiben verstößt nicht gegen das Werbeverbot gem. § 43b BRAO. Nach dieser Norm ist einem Rechtsanwalt Werbung - wie z.B. Rundschreiben sowohl an Mandanten als auch an Nichtmandanten - erlaubt,...

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