Leitsatz (amtlich)

1. Das Erfordernis einer gesonderten Belehrung über die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung bei Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist nur dann gewahrt, wenn die Belehrung in unmittelbarer Nähe zu den Gesundheitsfragen erfolgt und so gefasst ist, dass sie ein durchschnittlich aufmerksamer Versicherungsnehmer schlechterdings nicht übersehen kann.

2. Fragt der Versicherer nach "Krankheiten oder Beschwerden" muss ein bloßes Lampenfieber unterhalt der Schwelle zur krankhaften Prüfungsangst nicht angegeben werden, auch wenn es Anlass dafür war, einen Arzt aufzusuchen.

3. Kann der Versicherungsnehmer zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen, einen in der Vergangenheit erfolgten Arztkontakt vergessen zu haben, kann ihm auch dann keine Verletzung der Anzeigepflicht vorgeworfen werden, wenn er es fahrlässig unterlassen hat, sein Erinnerungsvermögen durch Einsicht in vorhandene Unterlagen oder Rückfragen bei Dritten angespannt zu haben.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 8 O 1518/20)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 9.6.2022 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 120.921,60 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer am 25.6.2013 policierten Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit der Nummer LV ... in Anspruch. Am 18.6.2013 beantragte sie bei der Beklagten den Abschluss einer Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung. Die Klägerin vermittelte sich diesen Vertrag selbst und füllte den Antrag auch selbst aus, wobei sie die Gesundheitsfragen jeweils verneinte. Für den Inhalt des Antragsfragebogens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils sowie die Anlage B1 Bezug genommen. Am 20.2.2016 stellte die Klägerin einen Leistungsantrag. Die Beklagte nahm Ermittlungen zu ihrem Gesundheitszustand auf und sprach mit Schreiben vom 10.10.2016 (Anl. K4) eine rückwirkende Vertragsanpassung aus, mit der Ansprüche wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend ab Vertragsbeginn aus dem Versicherungsschutz ausgeschlossen wurden, sofern psychische und/oder psychosomatische Erkrankungen oder nachgewiesene Folgen dieses Leidens die Ursache der Berufsunfähigkeit bilden.

Das Landgericht hat Beweis u.a. durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens sowie schriftliche Zeugenaussagen der behandelnden Ärzte erhoben und die Beklagte im Anschluss hieran vollumfänglich zur Leistung aus dem Versicherungsvertrag verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin sei auf der Grundlage der Feststellungen des Sachverständigen als bedingungsgemäß berufsunfähig wegen einer psychischen Erkrankung anzusehen. Sie habe zwar objektiv Falschangaben im Rahmen des Versicherungsantrages gemacht, indem sie verschwiegen habe, dass sie im Zeitraum zwischen Juni und September 2008 und damit im nach den Antragsunterlagen maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum von ihrer Hausärztin eine Überweisung zu einem Psychotherapeuten erhalten und von diesem anschließend in fünf probatorischen Sitzungen untersucht worden sei, bevor dieser entschieden habe, dass eine Behandlung des Lampenfiebers, das Anlass für die Überweisung gewesen sei, nicht erforderlich sei. Hierin liege eine nach den Antragsfragen mitteilungspflichtige Behandlung. Die Klägerin sei auch ordnungsgemäß über ihre vorvertragliche Anzeigepflicht belehrt worden. Die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflichten sei aber gemäß § 19 Abs. 4 Satz 2 VVG unverschuldet erfolgt. Die Klägerin habe sich sowohl gegenüber ihrer Hausärztin als auch bei der Beantwortung der Antragsfragen auf die Einschätzung des Psychologen Steinfurth verlassen dürfen, dass sie nicht an einer psychischen Krankheit leide. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung vertritt die Beklagte die Auffassung, die Beweiswürdigung des Landgerichts sei insofern fehlerhaft, als dieses ohne tragfähige Grundlage angenommen habe, die Falschbeantwortung der Gesundheitsfragen sei unverschuldet gewesen. Tatsächlich sei der Klägerin aber sogar Vorsatz vorzuwerfen. Die Klägerin sei unstreitig am 21.08.2008, am 26.08.2008, am 01.09.2008, am 08.09.2008 und am 23.09.2008 in psychologischer/psychotherapeutischer Behandlung bei Herrn Dipl.-Psych. H... S... gewesen und habe anschließend am 25.11.2008 die Ärztin Dr. R... M... aufgesucht. Dies hätte sie gegenüber der Beklagten nicht verschweigen dürfen

Sie beantragt,

das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Bezug auf ihr erstinstanzli...

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