Leitsatz (amtlich)

1. In Fällen des Sozialbetruges setzt die Verurteilung nach § 263 StGB regelmäßig eine revisionsrechtlich überprüfbare detaillierte Berechnung des Betrugsschadens voraus. Dies erfordert in der Regel die Darlegung einer - gegebenenfalls sogar ins Einzelne gehenden - Berechnung des Anspruchs, welcher einem Angeklagten nach den für die Leistungsbewilligung geltenden Sozialvorschriften berechtigt zusteht, und dessen Gegenüberstellung zu den tatsächlich erhaltenen Unterstützungszahlungen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. August 2013 - 2 Ss 29/13 -).

2. Zur Gewerbsmäßigkeit als Regelbeispiel:

Wegen der "maßstabbildenden Bedeutung" der Regelbeispiele ist zur Bestimmung des maßgeblichen Strafrahmens im Einzelfall stets eine Gesamtwürdigung aller für die Strafzumessung wesentlichen Umstände vorzunehmen.

In Anbetracht des gesetzlichen Kontextes, in welchem die Gewerbsmäßigkeit eines Betruges diesen gerade als "in der Regel besonders schwer" erscheinen lässt (vgl. § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB: als Bandendelikt, bei Vermögensverlusten großen Ausmaßes, bei großer Zahl potentieller Betrugsopfer, Verursachung wirtschaftlicher Not, etc.) erscheint es zweifelhaft, die rechtliche Einordnung von Sozialbetrügereien der vorliegenden Art (ALG II; Bafög; etc.) unter dieses Regelbeispiel als mit den gesetzgeberischen Vorstellungen vereinbar anzusehen.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Entscheidung vom 09.07.2013; Aktenzeichen 5 Ns 350 Js 18082/11)

 

Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 09. Juli 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Berufungskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht Chemnitz hatte die Angeklagte am 05. November 2012 wegen (gewerbsmäßigen) Betruges zu der Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen diese Verurteilung gerichtete Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Chemnitz mit Urteil vom 09. Juli 2013 als unbegründet verworfen. Es hat festgestellt, dass die Angeklagte am 07. Februar 2004 bei der Agentur für Arbeit (vormals bis 31. Dezember 2003 "Bundesanstalt für Arbeit") in Annaberg Arbeitslosenhilfe auf Grundlage eines Scheinarbeitsvertrags vom 02. Juni 2003 beantragt und in der Folgezeit bis zum 31. Dezember 2004 in Höhe von 8.185,50 € auch ausbezahlt erhalten habe.

Im Einzelnen hat das Berufungsgericht festgestellt:

Die Angeklagte war vom 01. September 2002 bis zum 02. Juni 2003 als Hilfskraft in einem Hotel beschäftigt. Für diese Tätigkeit erzielte sie ein monatliches Bruttoeinkommen von 600,- € bis 800,- €. Angesprochen und vermittelt von ihrem bisherigen Arbeitgeber, dem Zeugen X, unterzeichnete sie am 02. Juni 2003 einen Arbeitsvertrag als Pflegekraft zu Gunsten des hochbetagten und pflegebedürftigen Großvater des Zeugen. Der Vertrag wurde von der Tochter des Pfleglings als dessen Vertreterin gegengezeichnet. Bei der Vertragsunterzeichnung waren sich beide Seiten darüber einig, dass in Wahrheit keine Vertragsansprüche begründet werden sollten, der Arbeitsvertrag vielmehr allein für die spätere Beantragung von wiederkehrenden Sozialleistungen genutzt werden sollte. Die Angeklagte selbst hatte bei der Unterzeichnung keine Gehaltsvorstellungen; auf Vorschlag des Zeugen X und des Pfleglings (vertreten durch seine Tochter) wurde eine monatliche Bruttovergütung von 4.200,- € eingetragen.

Ferner hat das Landgericht festgestellt, dass die Angeklagte am 03. und 04. Juni 2003 jeweils zwischen 07:00 Uhr und 08:00 Uhr bei dem Pflegling "zur Pflege erschienen" und dort bis jeweils 21:00 Uhr verblieben war. Ab dem 05. Juni 2003 wurde sie durch ihre Hausärztin wegen Fersenschmerzen arbeitsunfähig krank geschrieben, zunächst bis zum 15. Juni 2003, sodann verlängert bis zum 20. Juni 2003. In dieser Zeit erfolgte am 13. Juni 2003 die Kündigung des Pflegevertrages von Seiten des Pfleglings mit Wirkung zum 27. Juni 2003. Am 17. Juni 2003 erhielt die Angeklagte ihre Lohnabrechnung für den Monat Juni 2003 über (brutto) 280,- €; sie quittierte den Empfang des Nettolohnes in Höhe von 224,73 €.

Einwendungen oder rechtliche Schritte gegen die Vertragskündigung erhob und unternahm die Angeklagte nicht. Statt dessen beantragte sie, obwohl sie den Urteilsfeststellungen zufolge wusste, dass der Arbeitsvertrag nur zum Schein abgeschlossen wurde und sie hieraus keine Ansprüche ableiten konnte, hierauf gestützt in rechtlich verjährter Zeit am 31. August 2003 die Zahlung von Arbeitslosengeld und - nach Auslaufen des Bewilligungszeitraums - in unverjährter Zeit am 01. März 2004 Arbeitslosenhilfe.

Schließlich hat das Landgericht als "Vor-" bzw. "Nachtatgeschehen" festgestellt, dass bereits in der Zeit vor dem hier maßgeblichen Pflegevertrag der Angeklagten als auch danach jeweils zwei gleichgelagerte Geschehensabläufe (mit anderen Pflegekräften) stattgefunden haben.

II.

Mit ihr...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge