Leitsatz (amtlich)

1. Eine Geheimhaltungsanordnung kann nicht auf in der mündlichen Verhandlung nicht anwesende Personen erstreckt werden.

2. Dem Prozessbevollmächtigten einer nichtanwesenden Partei ist deren Unterrichtung über geheimhaltungspflichtige Umstände nach einem solchen Beschluss verboten; eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Partei liegt hierin nicht.

3. Weil der Geheimnisschutz von Amts wegen zu berücksichtigen ist, ist ein Vortrag einer Partei, welcher genaue Nachteil ihr konkret aus der Verbreitung eines Dokuments erwachsen würde, nicht geboten.

4. Dass Unterlagen bereits in Parallelverfahren vorgelegt worden sind, steht ihrer Geheimhaltungsbedürftigkeit nicht entgegen.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 8 O 2960/17)

 

Tenor

1. Die sofortigen Beschwerden der Klägerin und ihrer im Termin vom 1.9. 2020 vor dem Landgericht Dresden anwesenden Prozessbevollmächtigten sowie der Beklagten gegen den in diesem Termin verkündeten Beschluss über die Geheimhaltungsverpflichtung nach § 174 Abs. 3 S. 1 GVG werden zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beschwerdeführer zu je 1/3.

3. Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf bis zu 1000,- EUR festgesetzt

 

Gründe

I. Das Beschwerdeverfahren betrifft die Anordnung der Geheimhaltung gemäß §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG.

Die Klägerin ist bei der Beklagten privat krankenversichert. Sie nimmt diese in der Hauptsache mit Feststellungs- und auf Rückzahlung gerichtete Leistungsklage wegen verschiedener von der Beklagten vorgenommener Prämienerhöhungen in Anspruch und vertritt die Ansicht, diese Erhöhungen seien jeweils nicht ordnungsgemäß begründet worden, der von der Beklagten nach ihren Angaben eingeschaltete Treuhänder sei nicht unabhängig gewesen, und es hätten auch die materiellen Voraussetzungen für die Prämienerhöhungen, die die Beklagte darzulegen und zu beweisen habe, nicht vorgelegen.

Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 9.10.2019 als Anlage ... 23 ein Anlagenverzeichnis derjenigen Unterlagen vorgelegt, die ein Sachverständiger zur Prüfung der materiellen Berechtigung der Anpassungen benötige und hat sich zugleich in diesem Schriftsatz bezüglich des gesamten Konvoluts mit Ausnahme der AVB - Druckstücke und der PKV - Sterbetafeln und des ersten Blatts der Zustimmungserklärung zur Beitragsanpassung auf Geheimhaltungsbedürftigkeit berufen. Die Vorlage der in der Anlage ... 23 aufgeführten Unterlagen und eine Einsichtnahme in diese durch die Klägerseite könne erst erfolgen, wenn die Geheimhaltung sichergestellt sei. Zur Begründung macht die Beklagte geltend, die Berechnungsgrundlagen enthielten Informationen zur unternehmensinternen Schadensentwicklung, Angaben zur Herleitung der Kopfschadenprofile sowie Grundkopfschäden, detaillierte Informationen hinsichtlich der rechnungsmäßigen Ansätze der Abschluss-, Verwaltungs- und Schadenregulierungskosten, des Stornoverhaltens in den einzelnen Tarifsegmenten sowie Zahlen und Grafiken zu Rechnungsgrundlagen, Beitrag/Limitierung, Alterungsrückstellung sowie Anwartschaft. Dies seien geheimhaltungsbedürftige unternehmensindividuelle interne Geschäfts- und Betriebsinformationen.

In der mündlichen Verhandlung vom 30.10.2019 hat das Landgericht zunächst die Öffentlichkeit ausgeschlossen und nach nichtöffentlicher Verhandlung "der Klagepartei, den Prozessbevollmächtigten der Klagepartei, einem - noch zu bestimmenden - Sachverständigen und den Prozessbevollmächtigten der Beklagtenpartei ... die Geheimhaltung von Tatsachen, die durch die Verhandlung und Beweisaufnahme (insbesondere der in der Anlage ... 23 genannten Anlagen) zu ihrer Kenntnis gelangen zur Pflicht gemacht". Zugleich hat es der Beklagten aufgegeben, die in der Anlage ... 23 aufgeführten Unterlagen auf einem USB-Stick zu den Akten zu reichen. Auf hiergegen von der Beklagten erhobene Bedenken an der Reichweite dieser Geheimhaltungsanordnung hat das Landgericht erneut Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 1.9.2020 bestimmt. In diesem Termin, in dem beide Parteien lediglich durch ihre Anwälte vertreten waren, hat die Beklagte die in dem Anlagenverzeichnis ... 23 bezeichneten Dokumente auf einem USB-Stick übergeben und zugleich erneut den Ausschluss der Öffentlichkeit und die Anordnung der Geheimhaltung bezüglich der dort aufgeführten Unterlagen beantragt. Nach nichtöffentlicher Verhandlung hat das Landgericht noch im selben Termin durch Beschluss "den anwesenden Parteien ... zur Pflicht gemacht, den Inhalt der in der nichtöffentlichen Verhandlung zur Akte gereichten und in der Anlage ... 23 genannten Schriftstücke und die hierauf bezogene Erörterung während der heutigen nichtöffentlichen Verhandlung geheim zu halten, mit Ausnahme der in der Anlage ... 23 als nicht geheim bezeichneten Teile".

Hiergegen haben beide Parteien sowie die Klägervertreterin im eigenen Namen sofortige Beschwerde eingelegt. Die Beklagte ist der Auffassung, ihr aus Art. 12 GG folgendes Grundrecht auf Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse werde durch die ...

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