Entscheidungsstichwort (Thema)

Schadensersatz bei verkehrsunfallbedingter Körperverletzung: Geldrente oder Kapitalabfindung bei Erwerbsunfähigkeit des Verletzten. Berechnung des Verdienstausfallschadens. Anforderungen an die Prognose der beruflichen Entwicklung des Geschädigten

 

Orientierungssatz

1. Ein wichtiger Grund i. S. d. § 843 Abs. 3 BGB, der eine Kapitalabfindung statt fortlaufender Rentenzahlung rechtfertigen kann, liegt vor, wenn der Zweck der Ersatzleistung durch die Abfindung in einem Betrag eher als durch fortlaufende Zahlungen erreicht wird. Bei der Frage, ob ein wichtiger Grund vorliegt, sind objektive und subjektive Gesichtspunkte zu berücksichtigen; maßgeblich jedoch ist, ob die einmalige Abfindung zur Ausgleichung von dauernden Nachteilen die im zu beurteilenden Sachverhalt geeignete Form bildet. Hierbei darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass Ziel der Abfindung ist, den angemessenen Ausgleich wirklich sicherzustellen. Dabei muss auch die bestimmungsgemäße Verwendung des Geldes gewährleistet sein. Gerade bei der gerichtlichen Kapitalisierung kommt also der Sicherstellung der finanziellen Bedürfnisse des Verletzten besondere Bedeutung zu.

2. Ist die voraussichtliche berufliche Entwicklung eines Geschädigten ohne das Schadensereignis zu beurteilen, muss der Geschädigte soweit wie möglich konkrete Anhaltspunkte für die erforderliche Prognose dartun (§ 252 BGB). Doch dürfen insoweit keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn das haftungsauslösende Ereignis den Geschädigten zu einem Zeitpunkt getroffen hat, als er noch in der Ausbildung oder am Anfang seiner beruflichen Entwicklung stand. Soweit sich keine Anhaltspunkte ergeben, die überwiegend für einen noch nicht nachweisbaren Erfolg oder einen Misserfolg sprechen, liegt es nahe, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen und auf dieser Grundlage die weitere Prognose der entgangenen Einnahmen anzustellen und den Schaden gemäß § 287 ZPO zu schätzen, wobei dem weiten Ermessen des Tatrichters zur Schadensschätzung allerdings auch Grenzen gesetzt sind. Insbesondere darf er sich nicht über Vorbringen des Schädigers, das für die Schadensschätzung von Bedeutung ist, ohne weiteres hinwegsetzen oder dies ohne den Ausweis eigener Sachkunde und die Hinzuziehung sachverständiger Hilfe als unerheblich oder widerlegt ansehen.

 

Normenkette

VVG §§ 155, 156 Abs. 3; BGB § 843 Abs. 3, §§ 252, 249; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 20.10.2010; Aktenzeichen 6 O 319/08)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels der Beklagten das Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 20. Oktober 2010 teilweise abgeändert und insgesamt neu gefasst wie folgt:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.229.60 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22. März 2010 zu zahlen.
  2. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin ab dem 01. Oktober 2010 vierteljährlich im Voraus

    1. 949 EUR bis zum Lebensende der Klägerin

      sowie

    2. bis zum 31. August 2048 – höchstens aber bis zum Lebensende der Klägerin – weitere 480,09 EUR

    zu zahlen.

  3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte – beschränkt auf die Versicherungssumme von 8.000.000 EUR sowie nach Maßgabe eines Kürzungs- und Verteilungsverfahrens nach den §§ 155, 156 Abs. 3 VVG a. F. sowie unter Berücksichtigung der von der Beklagten zur eigenen freien Verrechnung geleisteten Vorschusszahlung in Höhe von 150.000 EUR – verpflichtet ist, der Klägerin folgende aus dem Verkehrsunfall vom 2. September 2005 resultierende Schäden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger und sonstige übergangsberechtigte Dritte übergegangen sind oder übergehen werden:

    Die der Klägerin aufgrund ihrer Verletzung durch den Verkehrsunfall vom 2. September 2005 seit dem 9. Februar 2009 entstandenen und künftig entstehenden vermehrten Wohnnebenkosten sowie die Kosten für die aufgrund des Verkehrsunfalls vom 2. September 2005 erforderliche behindertengerechte Ausstattung künftiger Fahrzeuge der Klägerin;

    alle weiteren künftigen materiellen Schäden der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 2. September 2005, insbesondere auch die von der Finanzverwaltung angeforderten Steuern auf Verdienstausfallersatzleistungen der Beklagten, soweit die Ansprüche der Klägerin nicht durch dieses Urteil abgewiesen worden sind;

    sowie

    alle künftigen immateriellen Schäden der Klägerin aus dem Verkehrsunfall vom 2. September 2005, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Beklagte aufgrund einer außergerichtlichen Vereinbarung zwischen den Parteien 500.000 EUR Kapitalentschädigung für das Schmerzensgeld gezahlt und eine monatliche Schmerzensgeldrente bis zum Lebensende der Klägerin in Höhe von 500 EUR gezahlt hat und zahlt.

  4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin i...

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