Leitsatz (amtlich)

Ob Rehabilitationsmaßnahmen mangels Förderungsfähigkeit von vornherein ausgeschlossen sind (BGH v. 20.9.1994 - VI ZR 285/93, BGHZ 127, 120 = MDR 1995, 366), kann nicht allgemein, sondern nur anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Der Ausschluss der Förderungsfähigkeit ist jedoch in jedem Fall positiv festzustellen. Er kann z.B. bei einer weitgehenden Zerstörung des Hirns, einem dauerhaften Koma o.ä. in Betracht kommen. Bei im Wesentlichen geistig gesunden, wenn auch unfallbedingt körperlich stark beeinträchtigten Personen (hier: vollständige Erblindung) kann in der Regel ein Ausschluss der Förderungsfähigkeit nicht von vornherein angenommen werden.

 

Normenkette

SGB X § 116

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 14.10.2005; Aktenzeichen 4 O 189/05)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Hannover vom 14.10.2005 abgeändert und neu gefasst wie folgt:

Der Klageantrag zu 1) (Zahlung/Schadensersatz) ist dem Grund nach gerechtfertigt.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, alle auf die Klägerin gem. § 116 SGB X übergegangenen Schadensersatzansprüche aus dem Verkehrsunfall vom 21.8.1997, bei dem Herr F.G., geb. am ...1968, schwer verletzt wurde, zu ersetzen.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 745,30 EUR zu zahlen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 41.552,62 EUR.

 

Gründe

I. Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil (Bl. 145 f. d.A.).

Die Klägerin macht als Sozialversicherungsträger gem. § 116 SGB X Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht geltend. Zugrunde liegt ein Verkehrsunfall vom 21.8.1997, bei dem der Polizeibeamte F.G. so schwer verletzt worden ist, dass er seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte und deshalb als Beamter in den Ruhestand versetzt wurde. Der Unfall wurde verursacht durch den bei der Beklagten haftpflichtversicherten A. S.

Mit "Abfindungserklärung" vom 8.12.2000 erklärte der Geschädigte F.G. schriftlich, "für alle bisherigen und möglicherweise künftig noch entstehenden Ansprüche, seien sie vorhersehbar oder nicht vorhersehbar,... aus Anlass des Schadenfalls vom 21.8.1997 endgültig und vorbehaltlos abgefunden zu sein", wenn - was dann auch geschehen ist - an ihn ein Betrag von insgesamt 750.000 DM ausgezahlt würde (vgl. Bl. 37 d.A.). Am 31.1.2001 stellte Herr G. bei der Klägerin einen Antrag auf berufsfördernde Maßnahmen zur beruflichen Rehabilitation gem. §§ 97 f. SGB III (berufliche Eingliederung Behinderter). Daraufhin fanden zwischen dem 12.2. und 28.3.2002 berufsfördernde Maßnahmen statt. Der Geschädigte nahm eine Tätigkeit bei der Firma "S. und mehr" in M. auf. Für die Berufsfindungsmaßnahmen macht die Klägerin übergegangene Ansprüche i.H.v. 1.741,31 EUR und weitere 10.152,40 EUR sowie darüber hinaus für die behindertengerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes Herrn G. s bei der Firma "S. und mehr" 19.658,91 EUR, insgesamt also 31.552,62 EUR geltend. Darüber hinaus begehrt sie bezüglich weiter gehender Schadensersatzansprüche die Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten. Schließlich soll die Beklagte den nicht anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr zzgl. Auslagenpauschale und anteiliger Mehrwertsteuer für den nicht anrechenbaren Teil der Geschäftsgebühr als notwendige Kosten der Rechtsverfolgung i.H.v. 745,30 EUR erstatten.

Das LG hat die Klage insgesamt abgewiesen. Herrn G. sei kein Schaden entstanden. Auf die Klägerin sei kein Anspruch übergegangen. Die vom Verletzten ergriffenen Rehabilitationsmaßnahmen dienten zudem nicht der Beseitigung der durch den Unfall erlittenen Schäden. Durch den Abfindungsvergleich vom 8.12.2000 sei der Schaden nicht nur minimiert, sondern vollständig ausgeglichen worden. Die Rehabilitationsmaßnahmen hätten deshalb allein der Wiedereingliederung des Geschädigten in das Berufsleben aus anderen Gründen und nicht dem Schadensausgleich gedient (vgl. im Einzelnen LGU 4 f., Bl. 148 f. d.A.).

Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ihre ursprünglichen Anträge weiterverfolgt. Ihrer Ansicht nach sei schon im Unfallzeitpunkt klar gewesen, dass Herr G. Rehabilitationsmaßnahmen zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben beantragen und bewilligt bekommen würde. Der Abfindungsvergleich vom 8.12.2000 stünde dem Klageanspruch nicht entgegen, weil die Beklagte i.S.v. §§ 407 Abs. 1, 412 BGB Kenntnis von dem Forderungsübergang auf die Klägerin gehabt habe. Ferner seien die Rehabilitationsmaßnahmen erstattungsfähig, weil sie als Aufwendung zur Minderung oder Abwehr von Verdienstausfallschäden z...

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