Entscheidungsstichwort (Thema)

Verkehrssicherungspflichten eines Schwimmbadbetreibers für Betrieb einer Großrutsche

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Stade (Urteil vom 28.02.2003; Aktenzeichen 2 O 238/02)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 05.10.2004; Aktenzeichen VI ZR 294/03)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Stade vom 28.2.2003 wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kosten abzuwenden, sofern die Beklagte nicht ihrerseits Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Kostenbetrages leistet.

4. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin begehrt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens wegen eines Unfalls, den sie am 25.8.2001 erlitten hat, als sie in Begleitung einer Familie aus der Nachbarschaft das Freibad der beklagten Gemeinde besuchte und die ca. 90 Meter lange kurvenreiche Großrutsche benutzte. Zum Unfallzeitpunkt war die Klägerin acht Jahre alt; sie hat Zahnschäden erlitten. Auf Schildern und Piktogrammen am Eingang der Rutsche und im Rutschbereich sind Benutzungs- und Warnhinweise angegeben. Danach dürfen Kinder unter sieben Jahren die Rutsche nicht benutzen. Zugelassen ist die Rutschposition „Rückenlage, Blick nach vorn”. Eingehalten werden soll eine Wartezeit von mindestens 30 Sekunden. Die Klägerin hat geltend gemacht, vor der Rutschbahn einige Zeit gewartet zu haben, die sie für 30 Sekunden gehalten habe. Nach der dritten Kurve habe sie ein dickeres Mädchen gesehen, das in der Rutsche festgehangen habe. Bei einem Ausweichversuch sei sie mit ihrem Gesicht gegen die Rutschwand und das Mädchen gestoßen. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen, in dem das LG eine schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht verneint und deshalb die Klage abgewiesen hat.

Die Klägerin verfolgt ihre erstinstanzlichen Anträge auf der Grundlage des bisherigen Sachvortrags weiter. Insbesondere meint sie, die Beklagte müsse nach dem zwischenzeitlich erreichten Stand der Technik durch technische Vorrichtungen sicherstellen, dass ein Benutzer mit dem Rutschen erst beginne, wenn der Vorausrutschende die von außen nicht einsehbare Rutsche verlassen habe; alternativ komme die Überwachung der Rutsche durch einen Bademeister in Betracht. Ein Anscheinsbeweis spreche dafür, dass bei Beachtung dieser Erfordernisse der str. Unfall vermieden worden wäre. Im Jahre 2000 habe sich ein ähnlicher Unfall mit leichten Verletzungen trotz Einhaltung der Wartezeit ereignet, wie die Klägerin zwischenzeitlich erfahren habe. Die Beklagte bestreitet den Vortrag zum Unfallablauf; ein Verkeilen anderer Nutzer sei technisch unmöglich, die Rutsche sei dafür zu glatt.

II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet, da nicht feststellbar ist, dass der Unfall auf eine von der Beklagten zu verantwortende Verletzung einer vertraglichen oder deliktischen Verkehrssicherungspflicht zurückzuführen ist.

1. Die Gefahr von Unfällen in größeren Schwimmbadrutschen ist ernst zu nehmen, wie die dazu bekannt gewordenen Urteile zeigen. Sie ist von den Schwimmbadbetreibern durch geeignete Maßnahmen auf ein angesichts der drohenden Gesundheitsbeeinträchtigungen vertretbares Maß zu reduzieren. Auf dieser Erkenntnis und Einschätzung der Sachlage beruhen denn auch die gefahrsteuernden Hinweise der Beklagten. Eine völlige Vermeidung der für den Benutzer kalkulierbaren Gefahren ist nicht geboten, da derartige Vergnügungseinrichtungen sozial akzeptiert und zur Steigerung der Schwimmbadattraktivität gewünscht werden. Der Betreiber muss bei seinen Gefahrsteuerungsmaßnahmen allerdings entgegen der Auffassung der Beklagten auch vorhersehbaren Missbrauch berücksichtigen.

2. Völlig zu vermeiden wären Unfälle der behaupteten Art nur, wenn die Rutsche für die Benutzung durch jeweils eine einzelne Person reserviert würde. Eine derartige Vorsorgemaßnahme ist jedoch entgegen der Ansicht der Klägerin bei Abwägung der Kosten- und Benutzungsnachteile gegen den mit Alternativmaßnahmen erreichbaren Rechtsgüterschutz nicht geboten.

a) Die ständige Aufsicht eines – im Zweifel zusätzlichen – Bademeisters am Einstieg zur Rutsche zur Durchsetzung eines zeitweiligen Benutzungsverbots ist nicht zu verlangen. Sie würde erhebliche Personalkosten verursachen, die die ohnehin schon beträchtlichen Eintrittspreise in öffentliche Schwimmbäder unerwünscht weiter in die Höhe treiben würden.

b) Eine zeitweilige Benutzungssperre ließe sich bei einer Großrutsche von nachfolgenden Benutzern selbst kontrollieren, wenn die beschränkten Sichtverhältnisse durch den Einsatz technischer Hilfsmittel wie einer Videoanlage oder einer mittels Lichtschranke gesteuerten Ampelanlage ausgeglichen würden. Wie sich dies auf die Betriebskosten auswirken würde und ob deshalb eine Installation angesichts des ...

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