Leitsatz (amtlich)

1. Verletzungen, die durch einen von den Vorstellungen des Täters über den Schadensverlauf wesentlich abweichenden Geschehensablauf entstanden sind und die nach Art und Schwere wesentlich von den Verletzungen abweichen, wie er sie sich vorgestellt hat, werden von einem auf "Körperverletzung" gerichteten Vorsatz nicht umfasst.

2. Wegen der Vielschichtigkeit möglicher Handlungsabläufe kommt hier der Beweis des ersten Anscheins nicht zum Tragen.

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 16.03.2007; Aktenzeichen 13 O 125/06)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 17.09.2008; Aktenzeichen IV ZR 343/07)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 16.3.2007 verkündete Urteil der 13. Zivilkammer des LG Hannover wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Deckungsschutz aus einer Privathaftpflichtversicherung seines Vaters in Anspruch. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB; Fassung Juli 1999) und die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen zur Haftpflichtversicherung (BBR 9, Ausgabe Juli 1999) zugrunde. Der unverheiratete Kläger, der zum Tatzeitpunkt Auszubildender war, begehrt als Mitversicherter für folgenden Vorfall Versicherungsschutz:

Am 26.10.2003 gegen 03:30 Uhr kam es auf dem B ... platz in B. zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und dem Geschädigten P. S.. Dem vorausgegangen war ein Wortwechsel zwischen Herrn S. und seinem Begleiter einerseits und dem Kläger und seinen Freunden andererseits. Der Anlass und Hergang dieses Wortwechsels wie auch der anschließenden körperlichen Auseinandersetzung ist zwischen den Parteien streitig. Im Laufe der Auseinandersetzung versetzte der Kläger Herrn S. einen heftigen Schlag mit der rechten Faust ins Gesicht, woraufhin Herr S. zu Fall kam und mit dem Kopf auf das Pflaster aufschlug. Durch diesen Sturz auf das Pflaster zog sich Herr S. einen komplizierten Schädel-/Schädelbasisbruch zu, wodurch es zu einer Blutung zwischen sowie unter den Hirnhäuten kam, sodass eine intensiv-medizinische Behandlung erforderlich war und sich Herr S. bis zum heutigen Tage in einer vollstationären Therapieeinrichtung befindet. Aufgrund der Schwere der Verletzungen ist davon auszugehen, dass Herr S. lebenslang unter den Folgen der Verletzungen zu leiden hat und einer Erwerbstätigkeit nicht mehr wird nachgehen können.

Mit Urteil vom 31.1.2007 verurteilte das LG Verden den Kläger, an den Geschädigten P. S. Schmerzensgeld und Schadensersatz zu zahlen. Außerdem stellte es die Eintrittspflicht des Klägers für künftige materielle und immaterielle Schäden des Herrn S. fest. Außerdem sprach es die Feststellung aus, dass es sich bei der Forderung um eine solche aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung handele.

Die Beklagte lehnt die Erbringung von Leistungen mit der Begründung ab, dass der Kläger vorsätzlich gehandelt habe. Insoweit beruft sie sich auf den Ausschlussgrund des § 4 II Nr. 1 S. 1 AHB i.V.m. § 152 VVG.

Der Kläger vertritt die Meinung, dass die Voraussetzungen des vorgenannten Ausschlussgrundes nicht vorlägen. Er hat hierzu behauptet:

Die Auseinandersetzung sei von dem Geschädigten S. ausgegangen. Herr S. sei sodann unvermittelt auf ihn zugetreten und habe ihm einen Faustschlag in die Rippengegend versetzt (Bd. I, Bl. 4 d.A.). Hierdurch sei er, der Kläger, zurückgetaumelt. Da er gesehen habe, dass Herr S. sich weiter auf ihn zu bewegte, habe er sich zunächst Luft verschaffen und den weiteren erwarteten Angriff abwehren wollen, weshalb er ihm intuitiv und nicht gezielt einen Schlag versetzt habe (Bd. I, Bl. 4 d.A.). Bedingt durch seine - für den Kläger nicht in dem Maße erkennbare - Alkoholisierung habe der Geschädigte sein Gleichgewicht nicht mehr halten können und sei nach hinten übergefallen. Selbst wenn er sein Notwehrrecht möglicherweise überschritten habe, habe er aber keinesfalls eine so gravierende Verletzung, wie sie bei dem Geschädigten eingetreten sei, verursachen wollen. Die Möglichkeit einer so extremen Verletzung sei für ihn nicht bewusst und auch nicht vorhersehbar gewesen (Bd. I, Bl. 5 d.A.). Sein Ziel sei es nicht gewesen, den Geschädigten niederzuschlagen oder gezielt zu verletzen (Bd. I, Bl. 66 d.A.). Er habe sich eine Lage vorgestellt, in der eine voll rechtfertigende Handlung möglich sei, weshalb er die Auffassung vertreten hat, dass eine sog. Putativnotwehr vorliege (Bd. I, Bl. 73 f. d.A.).

Der Kläger hat beantragt (Bd. I, Bl. 4, 112, 145 d.A.),

festzustellen, dass die Beklagte aus dem bestehenden Haftpflichtversicherungsverhältnis verpflichtet ist, sämtliche materiellen wie immateriellen Schäden bis zum Erreichen der Versicherungsvertragssumme...

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