Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Fahrzeugherstellers im Rahmen des "Diesel-Abgasskandals".

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur Annahme einer vertraglichen oder deliktischen Haftung des Fahrzeugherstellers reicht es nicht aus, aus Rückrufen des Kraftfahrtbundesamtes betreffend denselben, in anderen Fahrzeugmodellen eingebauten Motortyp zu schlussfolgern, es müsse auch im streitgegenständlichen Fahrzeug eine unzulässige Abschaltvorrichtung vorhanden sein, was wiederum nur darauf zurückgeführt werden könne, dass der Fahrzeughersteller im Zulassungsverfahren getäuscht und falsche oder unvollständige Angaben gemacht haben müsse (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 04.07.2019 - I-3 U 148/18 -, juris, Rn. 6; OLG Nürnberg, Urt. v. 19.07.2019 - 5 U 1670/18 -, juris, Rn. 34 ff.; Senatsurteil v. 13.11.2019 - 7 U 367/18 -, juris).

2. Räumt der Fahrzeughersteller "Anpassungen an Betriebsbedingungen" ein, wonach die Abgasreinigung von der Motorsteuerungs-Software "zum Zwecke des Bauteilschutzes" unter bestimmten Betriebsbedingungen reduziert werde, kann dies allein nicht als Zugeständnis einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 gewertet werden.

3. Sieht die zuständige Behörde die Abschalteinrichtung in Form eines sog. "Thermofensters" als zulässig an, sind die Fahrzeughalter nicht der Gefahr einer drohenden Betriebsbeschränkung oder -untersagung ausgesetzt, so dass die Fahrzeuge diesbezüglich nicht mangelbehaftet sind. Somit sind sowohl vertragliche als auch deliktische Ansprüche gegen den Hersteller ausgeschlossen.

4. Fehlt es schon an der schlüssigen Darlegung der vorsätzlichen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung, kann es nicht dem beklagten Hersteller obliegen, sich in Befolgung einer sekundären Darlegungslast zu entlasten.

 

Normenkette

BGB §§ 31, 434, 437, 826; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Urteil vom 26.10.2018; Aktenzeichen 17 O 440/17)

 

Tenor

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Einzelrichters der 17. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 26.10.2018 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das angefochtene landgerichtliche Urteil sowie das vorliegende Berufungsurteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten des Rechtsstreits durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

 

Gründe

I. Die Kläger nehmen die Beklagte als Verkäuferin und als Herstellerin des von ihnen seinerzeit gekauften Pkws Mercedes-Benz im Rahmen des sog. "Diesel-Abgasskandals" auf Schadensersatz in Anspruch. Im Berufungsverfahren verfolgen die Kläger ihre Ansprüche, die in erster Instanz vom Landgericht abgewiesen worden sind, weiter.

Gemäß Bestellung vom 26.11.2015 und Rechnung vom 07.12.2015 erwarben die Kläger von der Beklagten einen gebrauchten Pkw Mercedes-Benz Typ C 220 BlueTec (Euro 6), EZ.: 31.07.2014, Tacho-Stand: 17.697 km, zum Kaufpreis von 30.000,00 EUR. Dieses Fahrzeug ist von einem freiwilligen Rückruf seitens der Beklagten als Herstellerin zur Optimierung des Abgasverhaltens, nicht aber von einem Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) betroffen.

Die Kläger verlangen mit der vorliegenden Klage die Rückabwicklung des Kaufvertrags, vornehmlich aus dem Gesichtspunkt des deliktischen Schadensersatzes.

Die Kläger haben vorgetragen, nach Berichten der Stuttgarter Zeitung habe die

Deutsche Umwelthilfe (DUH) herausgefunden, dass Fahrzeuge der Beklagten sowie anderer deutscher Hersteller mit modernen Dieselmotoren trotz des Abgasreinigungssystems BlueTec nur auf dem Prüfstand schafften, die zugelassenen Abgaswerte einzuhalten. Im tatsächlichen Fahrbetrieb lägen die Stickoxidwerte um ein Vielfaches darüber. Die Tanks für die Harnstofflösung "AdBlue", die das Stickoxid in den Abgasen neutralisiere, seien vielfach zu klein, das Reinigungsverfahren werde phasenweise abgeschaltet. Nach einem Bericht des Handelsblattes vom 13.07.2017 ermittle die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen des Verdachts, die Beklagte habe die Abschalteinrichtungen nicht gegenüber dem KBA offengelegt, die Stilllegung der betroffenen Fahrzeuge sei nicht auszuschließen. Als Folge dieser Vorwürfe rufe die Beklagte europaweit mehr als 3 Millionen Fahrzeuge zum Aufspielen eines Software-Updates für die Motorsteuerung zurück. Betroffen seien mehrere Motorenfamilien, so auch der Motor "OM 651 DE 22 LA", der in dem hier betroffenen Fahrzeugtyp C 220 BlueTec eingebaut sei.

Das Fahrzeug sei deshalb mit einem Sachmangel behaftet, der den Rücktritt vom Kaufvertrag rechtfertige. Weiterhin bestünden deliktische Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte nach § 826, § 831 BGB. Im Ergebnis sei die Beklagte verpflichtet, das Fahrzeug zurückzunehmen und den Kaufpreis, ohne Abzug einer Nutzungsvergütung für die mit dem Fahrzeug gefahrenen Kilometer, zu erstatten.

Die Beklagte hat das Vorl...

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