Verfahrensgang

LG Verden (Aller) (Aktenzeichen 8 O 199/17)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 13. Juni 2018 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.115,24 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. April 2017.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen tragen der Kläger 35 % und die Beklagte 65 %.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 8.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die zulässige Berufung ist im tenorierten Umfang begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß § 1 Satz 1 VVG in Verbindung mit § 1 Nr. 1 und § 2 Nr. 1 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB RR) zu.

1. Der Versicherungsfall ist eingetreten.

Gemäß § 2 Nr. 1a AVB RR liegt ein Versicherungsfall unter anderem vor, wenn die versicherte Person oder eine Risikoperson von einer unerwarteten schweren Erkrankung betroffen wird. Eine solche Erkrankung ist den Versicherungsbedingungen zufolge gegeben, wenn aus dem stabilen Zustand der Reisefähigkeit heraus konkrete Krankheitssymptome auftreten, die dem Reiseantritt entgegenstehen. Aus dieser Definition des Versicherungsfalls folgt, dass es auf eine konkrete ärztliche Diagnose der Erkrankung entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung nicht ankommt. Entscheidend ist vielmehr das Vorliegen einer krankheitsbedingten Symptomatik, die den Antritt der Reise unzumutbar erscheinen lässt.

Eine solche Symptomatik lag bei der Zeugin S. vor. Die Zeugin hat vor dem Senat ausgesagt, vor dem geplanten Reiseantritt und auch noch in den nachfolgenden 1 1/2 Wochen unter einer Durchfallerkrankung erheblicher Ausprägung gelitten zu haben. Diese Erkrankung habe ca. zwei Wochen vor der geplanten Reise begonnen. Die Symptomatik habe sich im weiteren Verlauf gesteigert und sei von Krämpfen begleitet gewesen. Die Einnahme von Medikamenten habe keine Wirkung gezeigt. Zuletzt habe sie vier- bis fünfmal am Tag in unregelmäßigen Abständen die Toilette aufsuchen müssen. Der Drang sei jeweils überfallartig und ohne Vorwarnung aufgetreten.

Die Zeugin hat auf den Senat einen glaubwürdigen Eindruck gemacht. Ihr war deutlich das Unbehagen anzumerken, über ein ihr unangenehmes Thema zu sprechen. Gleichwohl hat sich die Zeugin bemüht, dem Senat ihren Zustand und die Symptomatik ihrer Erkrankung zu verdeutlichen. Darüber hinaus sind bei der Vernehmung der Zeugin keine Anhaltspunkte zutage getreten, die auf einen anderen Grund für die Stornierung der Reise hätten hindeuten können. Im Gegenteil hat die Zeugin erklärt, dass sie und der Kläger sich auf ausdrücklichen Wunsch der Zeugin zu der Reise nach China entschlossen hätten, während ihr (mittlerweile) geschiedener Ehemann eigentlich in die Vereinigten Staaten habe reisen wollen. Die Aussage der Zeugin, dass sie und der Kläger sich lediglich unter dem Zwang der Erkrankung gegen den Antritt der Reise entschieden hätten, ist deshalb für den Senat nachvollziehbar und glaubhaft. Die teilweise feststellbaren Abweichungen in den verschiedenen Aussagen begründen in der Gesamtschau für den Senat keine durchgreifenden Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin.

Unter Zugrundelegung der von der Zeugin geschilderten Symptomatik war der Reiseantritt für sie aber unzumutbar. Soweit das Landgericht auf die trotz der Erkrankung mögliche Durchführung der Reise unter Inanspruchnahme der während des Fluges und am Urlaubsort vorhandenen Sanitäranlagen verwiesen hat, steht das der Unzumutbarkeit des Reiseantritts nicht entgegen. Insoweit darf die Zumutbarkeit des Reiseantritts nicht mit dessen technischer Durchführbarkeit verwechselt werden. Würde man beispielsweise allein auf die Behandelbarkeit einer Erkrankung im Ausland abstellen, würde der Eintritt einer solchen Erkrankung praktisch nie dem Reiseantritt entgegenstehen. Letztlich kommt es hierauf aber nicht entscheidend an. Das Landgericht hat vielmehr übersehen, schon bei der Anfahrt zum Flughafen und während des Eincheckens sowie bis zum Erreichen der Flughöhe nicht jederzeit eine Toilette zugänglich ist. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass in einem Flugzeug nur eine begrenzte Anzahl von Bordtoiletten zur Verfügung steht und dass deren Inanspruchnahme abhängig von den Bedürfnissen der anderen Flugpassagiere mitunter erst nach einer nicht unerheblichen Wartezeit möglich ist. Jedenfalls bei einer Durchfallerkrankung mit der im vorliegenden Fall von der Zeugin geschilderten Symptomatik und einem überfallartig entstehenden Bedürfnis muss aber die jederzeit mögliche Inanspruchnahme einer Toilette gewährleistet sein. Ist das insbesondere auf einem längeren Flug - wie regelmäßig - nicht der Fall, ist der Reiseantritt insgesamt unzumutbar.

2. Die Beklagte ist ni...

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