Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeitpunkt des Beginns eines neuen Prüfungsabschnitts im Maßregelvollstreckungsverfahren und Beiordnung eines Pflichtverteidigers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Vollstreckungsverfahren erfolgt für jeden Verfahrensabschnitt des Vollstreckungsverfahrens gesondert.

2. Eine dauerhafte Beiordnung für das gesamte Maßregelvollstreckungsverfahren erfolgt - anders als bei der Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung - nicht.

3. Ein neuer Prüfungsabschnitt beginnt spätestens mit der Erforderlichkeit und der Auswahl eines externen Sachverständigen, mit der Folge, dass dem Untergebrachten ab diesem Zeitpunkt ein Verteidiger beizuordnen ist.

 

Normenkette

StGB § 67e; StPO §§ 140, 142 Abs. 7, §§ 462a, 463

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Entscheidung vom 01.04.2020; Aktenzeichen 161 StVK 67/19)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 1. April 2020 wird verworfen.

2. Der Antrag des Verteidigers auf Feststellung der Notwendigkeit einer Informationsreise in die Psychiatrische Klinik L. wird zurückgewiesen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 473 Abs. 1 StPO).

4. Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

 

Gründe

I.

Der Untergebrachte wurde mit Urteil des Landgerichts Verden vom 16.09.2015, rechtskräftig seit dem 30.09.2015, wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 9 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Zugleich wurde seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet.

Der Untergebrachte, der an einer paranoiden-halluzinatorischen Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis leidet, wohnte seit dem 01.03.2007 in einer Einzimmerwohnung im Wohnkomplex M. X in O.-S. Infolge seiner Erkrankung war er seit Sommer 2013 davon überzeugt, dass aus der Wohnung unter ihm ständig "Werder-Lieder" zu hören seien. Diese stören ihn beim Schlafen und er war der Meinung, dass die in der Wohnung unter ihm angebrachte Tapete gezielt dazu verwendet wurde, um die Schallwellen der Musik in seine Wohnung zu leiten. Er glaubte, dass die Mieterin der Wohnung, die spätere Geschädigte K., das Ziel verfolgte, ihn wahnsinnig zu machen. Am 05.12.2013 beschloss er deswegen, sie zur Rede zu stellen, und erstach sie nach einem kurzen Wortwechsel mit einem von ihm mitgeführten Küchenmesser mit einer Klingenlänge von 12 cm.

Nach dem Ergebnis der im Erkenntnisverfahren durchgeführten psychiatrischen Begutachtung war die Steuerungsfähigkeit des Untergebrachten zur Tatzeit krankheitsbedingt erheblich vermindert. Der Sachverständige prognostizierte ein sehr hohes Risiko für künftige Gewaltdelikte. Das krankheitsbedingte Wahnsystem des Untergebrachten könne dazu führen, dass er bei Fehlinterpretationen von Blicken oder Gesten seiner Mitmenschen hochimpulsiv und aggressiv reagiere.

Seit der Rechtskraft des Urteils befindet sich der Untergebrachte in der Psychiatrischen Klinik L. Im Überprüfungsverfahren zur Fortdauer der Unterbringung hat der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer auf Antrag der Untergebrachten mit Beschluss vom 07.11.2019 Rechtsanwalt J. aus B. als Pflichtverteidigter beigeordnet. Die mündliche Anhörung des Untergebrachten erfolgte am 27.11.2019. Mit Beschluss vom selben Tage ordnete die Strafvollstreckungskammer die Fortdauer der Unterbringung an. Diese Entscheidung ist seit dem 19.12.2019 rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 02.01.2020 beantragte Rechtsanwalt S. aus B. unter Vorlage eines mit "Vollmacht" überschriebenen Schreibens des Untergebrachten vom 19.12.2019, diesem als Verteidiger beigeordnet zu werden. Auf den Hinweis des Vorsitzenden der Strafvollstreckungskammer, dass ein neuer Prüfungstermin erst im November 2020 anstehe, teilte Rechtsanwalt S. mit, dass nach seiner Auffassung der Überprüfungszeitraum spätestens mit Rechtskraft der zuvor ergangenen Entscheidung erneut begonnen habe und beantragte zudem die Hin- und Rückfahrt zu dem Untergebrachten in die Psychiatrische Klinik L. für notwendig zu erklären. Seine Ausführungen seien jedoch nicht als Antrag auf Prüfung der Fortdauer der Maßregel zu behandeln.

Der Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat mit Beschluss vom 01.04.2020 den Antrag des Untergebrachten auf Beiordnung von Rechtsanwalt S. zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beiordnung eines Verteidigers erfolge für jedes Prüfungsverfahren gesondert. Eine Beiordnung komme dann in Betracht, wenn bei der Strafvollstreckungskammer ein solches Verfahren anhängig sei und diese mit der Überprüfung der Fortdauer des Maßregelvollzuges befasst ist. Ein solcher, neuer Prüfungsabschnitt habe hier noch nicht begonnen. Weder sei ein neuer Prüfungsantrag gestellt noch eine Anfechtung der ergangenen Entscheidung erfolgt.

Gegen diese, ihm am 08.04.2020 zugestellte Entscheidung hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 08.04.2020, eingegangen bei dem Landgeric...

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