Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafvollzug in Niedersachsen: Ablösung aus der Sozialtherapie

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kommt eine Ablösung aus der Sozialtherapie in Betracht, ist der Gefangene anzuhören, bevor in einer - zu protokollierenden - Konferenz die Rückverlegungsentscheidung erörtert und eine Beschlussempfehlung herbeigeführt wird.

2. In der Rückverlegungsverfügung sind die entscheidungsrelevanten Einzelbegebenheiten, die Grundlage der Negativprognose sind, konkret zu benennen.

 

Normenkette

JVollzG ND § 104 Abs. 4 S. 1; StVollzG § 115

 

Verfahrensgang

LG Göttingen (Entscheidung vom 05.06.2015; Aktenzeichen 53 StVK-Vollz 16/15)

 

Tenor

1. Der angefochtene Beschluss und die Verfügung der Antragsgegnerin vom 29. Januar 2015 über die Ablösung des Antragstellers aus der Sozialtherapie werden aufgehoben.

2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller den nächsten freien Behandlungsplatz in ihrer sozialtherapeutischen Abteilung zuzuweisen und die Rückverlegung des Antragstellers dorthin zu veranlassen.

3. Die Kosten beider Rechtszüge und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Antragstellers fallen der Landeskasse zur Last.

4. Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 1.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes. Die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt. 15 Jahre der lebenslangen Freiheitsstrafe werden am 12. September 2016 verbüßt sein. Der Antragsteller befand sich seit dem 19. September 2013 in der sozialtherapeutischen Abteilung der Antragsgegnerin. Von dieser wurde er am 29. Januar 2015 abgelöst und in die Justizvollzugsanstalt C. verlegt. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit dem Ziel der Rückverlegung in die Sozialtherapie.

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hat die Antragsgegnerin im Vollzugsplan vom 15. Dezember 2014 festgestellt, dass der Antragsteller einen "ausreichend behandlungsmotivierten und veränderungsbereiten Eindruck" vermittele. Er zeige sich gegenüber dem Behandlungsteam gesprächsbereit. Nach anfänglichen Konflikten, bei denen es um das Aushandeln von Einflussmöglichkeiten gegangen sei, habe sich die Behandlungsarbeit entspannt. Der Antragsteller wirke zwischenzeitlich weniger verbissen. Sein anhaltendes Bemühen um die Richtigstellung nachweisbarer, belegbarer Fakten erscheine als Ausgleich für seine Unsicherheit im Umgang mit dem subjektiven Charakter von Gefühlen. Seine vorherrschende Grundstimmung scheine Unsicherheit, Besorgtheit und Niedergeschlagenheit zu sein.

Mit Verfügung vom 29. Januar 2015 löste die Antragsgegnerin den Antragsteller aus der Sozialtherapie ab. Zur Begründung führte sie aus, dass bei Fortbestehen der Indikation für eine sozialtherapeutische Behandlung deren Ziele "derzeit" nicht erreicht werden könnten. Behandlung setze voraus, dass der Antragsteller sich mehr, als es ihm derzeit möglich sei, auf die Entwicklung einlasse. Neben der Bereitschaft, sich zu öffnen und Anregungen auch dann anzunehmen, wenn sie verunsichernd seien, erfordere dies auch die Fähigkeit und Bereitschaft, es zu ertragen, zumindest einen Teil der Kontrolle über eine Situation oder Entwicklung abzugeben. Gerade dies sei ihm jedoch nicht so weit möglich gewesen, wie es für eine erfolgreiche Therapie notwendig sei. In den letzten Monaten habe sich der Kontakt zum Behandlungsteam immer mehr verschlechtert und die Behandlungssituation festgefahren, was sich nicht zuletzt im verbissenen Kampf des Antragstellers um jede Entscheidung, die über ihn getroffen worden sei, zeige. Er gewähre den für ihn zuständigen Behandlern keinen Zugang mehr zu seinem Denken, Empfinden, seinen Bestrebungen, Motiven usw., wobei unerheblich sei, ob der Grund hierfür die Verunsicherung des Antragstellers sei, sich mit sich selbst und dem Anlassgeschehen auseinanderzusetzen. Es sei davon auszugehen, dass die Behandlungsziele derzeit nicht erreicht werden könnten, sodass die sozialtherapeutische Behandlung zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine ausreichende Aussicht auf Erfolg verspreche.

2. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 29. Januar 2015. Der Antragsteller machte geltend, dass er vor der Entscheidung weder angehört noch verwarnt worden sei. Aus der Stellungnahme der Antragsgegnerin zu einer etwaigen Strafrestaussetzung vom 17. November 2014 sowie aus dem Vollzugsplan vom 15. Dezember 2014 gehe ein positiver Behandlungsverlauf hervor, dem eine negative Entwicklung "in den letzten Monaten" nicht zu entnehmen sei. Das erste Teamgespräch seit der Vollzugsplanung habe am 19. Januar 2015 stattgefunden. Der Ablösungsentscheidung seien keine weiteren Teamgespräche vorausgegangen. Der Therapeut G. sei in den Entscheidungsprozess nicht integriert worden. Das Ablösungsverfahren habe das "Rahmenkonzept der Sozialtherapie im niedersächsischen Justizvollzug" ohne Angabe von Gründen verletzt, da der Antragsteller nicht angehört worden sei und keine Konferenz stattgefunden habe. Die Ver...

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