Entscheidungsstichwort (Thema)

Bindungswirkung einer Verweisung bei fehlender Auseinandersetzung mit eigener Zuständigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Setzt sich ein Gericht bei der Verweisung des Rechtsstreits gem. § 281 ZPO inhaltlich nicht mit einer - möglichen - eigenen Zuständigkeit auseinander, begründet dies grundsätzlich die Annahme objektiver Willkür und nimmt dem Verweisungsbeschluss die Bindungswirkung (festhalten an Senat, Beschluss vom 03. August 2011, Az: 4 AR 43/11).

2. Der Wohnsitz der Beklagten bei Unterzeichnung eines Darlehensvertrags begründet eine Zuständigkeit nach § 29 ZPO für eine Klage des damaligen Mitdarlehensnehmers aus § 426 BGB.

 

Normenkette

ZPO § 29 Abs. 1, § 281 Abs. 2; BGB § 426

 

Tenor

Das Landgericht Stade ist zuständig.

 

Gründe

Der Kläger verfolgt einen Anspruch aus § 426 BGB gegen die Beklagte.

I.

Nach dem im Rahmen der Zuständigkeitsbestimmung zugrunde zu legenden Vortrag des Klägers hat dieser zusammen mit der Beklagten einen Darlehensvertrag bei einer Bank abgeschlossen. Nach dem Darlehensvertrag vom 21. Juli 2006 hatte die Beklagte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages ihren Wohnsitz in O. Dieser Ort liegt im Bezirk des Landgerichts Stade. Im Rahmen des Prozesskostenhilfebewilligungsverfahrens hat das Landgericht Stade nach mehrfacher Verweisung des Verfahrens wegen Wechsels der örtlichen Zuständigkeit aufgrund des Wohnsitzwechsels der Beklagten dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt. Die Zustellung der Klage konnte nicht im Bezirk des Landgerichts Stade vorgenommen werden, da die Beklagte in den Bezirk des Landgerichts Saarbrücken verzogen war. Das Landgericht Stade hat daraufhin mit Beschluss vom 2. August 2012 den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Landgericht in Saarbrücken verwiesen. Dieses hat mit Beschluss vom 13. August 2012 die Übernahme des Rechtsstreits abgelehnt und den Rechtsstreit dem Oberlandesgericht Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Auf die ausführliche Begründung dieses Beschlusses wird verwiesen.

II.

1. Das Oberlandesgericht Celle ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO für die Bestimmung des zuständigen Gerichts zuständig, da im Rahmen des Zuständigkeitsstreits das Landgericht Stade das zuerst mit der Sache befasste und im Bezirk des Oberlandesgerichts Celle gelegene Gericht ist.

2. Das Landgericht Stade ist zuständig. Der Verweisungsbeschluss vom 2. August 2012 entfaltet ausnahmsweise keine Bindungswirkung, weil sich die Verweisung im Ergebnis als objektiv willkürlich darstellt.

a) Grundsätzlich sind Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das ver-wiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu.U.nrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschluss vom 27. Mai 2008, Aktenzeichen: X ARZ 45/08 m.w.N. - aus [...]). Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, etwa weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Ausreichend ist nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (z.B. BGH NJW 2003, 3201). Ein Ausnahmefall ist allerdings dann gegeben, wenn ein unzweifelhaft örtlich zuständiges Gericht sich darüber hinwegsetzt, dass die Verweisung des Rechtsstreits gemäß § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts voraussetzt (BGH NJW 1993, 1273; NJW 2002, 3634). Setzt sich ein Gericht bei der Verweisung des Rechtsstreits gem. § 281 ZPO inhaltlich nicht mit einer - möglichen - eigenen Zuständigkeit auseinander, begründet dies grundsätzlich die Annahme objektiver Willkür und nimmt dem Verweisungsbeschluss die Bindungswirkung (Senat, Beschluss vom 3. August 2011, Az: 4 AR 43/11; BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011, Az: X ARZ 109/11, Rn 11). Allerdings ist ein Verweisungsbeschluss auch bei gänzlichem Fehlen einer Begründung noch nicht offensichtlich gesetzwidrig, wenn die Entscheidung im Einvernehmen beider Parteien ergangen ist (BGH NJW 2003, 3201, 3203; s. a. BGH NJW 2002, 3634, 3635 f.; OLG Brandenburg, Beschluss vom 27. Juli 2010, Az.: 1 AR 25/10 - aus [...]), es sei denn, das unzuständige Gericht hätte von sich aus auf die angeblich bestehende Verweisungsmöglichkeit hingewiesen (BGH NJW 2002, 3634, 3636). Der Vorwurf der Willkür soll jedoch entfallen, wenn keine Anhaltspunkte für die eigene Zuständigkeit wegen fehlender Anknüpfungspunkte in der Akte bestanden (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2011, Az: X ARZ 109/11, Rn. 12).

b) Nach diesen Maßstäben ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Stade wegen Willkür nicht bindend. Dieses hat sich nicht mit der Problematik auseinander gesetzt, ob aufgrund des Wohnsitzes der Beklagten im dortigen Bezirk zum Zeitpunkt der Entstehung des gesetzlichen Schuldverhältnisses zwischen den Parteien dieses Rechtsstreits, nämlich der Unterzeichnung des in Ablichtung zur Akte gereichten Darle...

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