Verfahrensgang

AG Tostedt (Aktenzeichen 23 F 165/17)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Kindeseltern gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Tostedt vom 7. Oktober 2019 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Ergänzungspfleger ermächtigt wird, soweit erforderlich die Herausgabe der Kinder notfalls unter Einsatz von Gewalt und mittels Betreten und Durchsuchen der elterlichen Wohnung sowie unter Inanspruchnahme der Hilfe des Gerichtsvollziehers oder der Polizei zu erzwingen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden den Kindeseltern auferlegt.

3. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die im hiesigen Verfahren betroffenen Kinder E. und L. leben zusammen mit ihren sorgeberechtigten Eltern und drei weiteren Geschwistern in H. E. ist inzwischen zwölf Jahre alt, L. ist zehn Jahre alt. Beide Kinder haben bislang keine Schule besucht. Gleiches gilt für den mit sieben Jahren ebenfalls schulpflichtigen Bruder J., geboren am ...2013, für den ein gesondertes Beschwerdeverfahren vor dem Senat (21 UF 191/19) geführt wird. Die weiteren Geschwister V., jetzt drei Jahre alt, und Lx., jetzt ein Jahr alt, sind noch nicht schulpflichtig.

Die im Jahr 1983 geborene Kindesmutter absolvierte eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin und studierte 2 1/2 Jahre Japanologie und Philosophie.

Der im Jahr 1979 geborene Kindesvater ist approbierter Humanmediziner und in H. niedergelassener Facharzt. Die Eltern beschreiben sich selbst als "die Kinder effektiv fördernd". Sie lebten in einem bildungsbürgerlichen und bildungsstimulierenden Haushalt. Die Kinder hätten Zugang zu Büchern, würden sich solche ausleihen und lesen und hätten auch Zugang zu sonstigen Medien und Musikinstrumenten.

Mit Schreiben vom 4. September 2017 hat der Landkreis H. - Bereich Jugend und Familie - das vorliegende familiengerichtliche Verfahren betreffend E. und L. angeregt, um zu klären, ob das Kindeswohl gefährdet ist, weil die Eltern die Kinder nicht zur Schule angemeldet hätten. In dem Schreiben wird auf ein Bußgeldverfahren gegen die Eltern (8 OWi 112 JS 11332/15) Bezug genommen, welches zur Verurteilung beider Eltern wegen Verstoßes gegen §§ 71 Abs. 1, 176 Abs. 1 Nr. 2 NSchG betreffend das Kind E. zu jeweils einer Geldbuße in Höhe von 150 EUR führte (Urteil des Amtsgerichts Tostedt vom 4. Dezember 2015). Gleichwohl seien Schulanmeldungen von E. und der inzwischen auch schulpflichtigen L. dennoch nicht erfolgt.

Darüber hinaus ist in dem vorgenannten Schreiben ausgeführt worden, dass der Landkreis Harburg unter dem 16. März 2015 die Teilnahme von E. am Schulunterricht kostenpflichtig angeordnet hat. Hiergegen hatten die Eltern Klage erhoben, die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 25. Oktober 2016 (4 A 90/15) abgewiesen wurde. Einen Antrag auf Zulassung der Berufung hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit Beschluss vom 23. Mai 2017 (2 LA 274/16) abgelehnt. Der Senat hat sowohl das Strafverfahren als auch die verwaltungsgerichtlichen Verfahren beigezogen. Ein vom Landkreis H. im Juni 2017 wegen der Nichtanmeldung vom E. zum Schulbesuch festgesetztes Zwangsgeld von 500 EUR haben die Eltern am 26. Juli 2017 bezahlt. Weitere Zwangsgeldfestsetzungen erfolgten nicht.

Die Einleitung des familiengerichtlichen Verfahrens wurde damit begründet, dass seitens des Landkreis H. der Sinn angezweifelt wird, für die Zukunft weitere Bußgelder im Ordnungswidrigkeitsverfahren zu verhängen, "da diese im Ergebnis vermutlich nur weiter dazu führen würden, nachträglich rechtswidriges Verhalten zu sanktionieren". Weiter hat der Landkreis H. mitgeteilt, dass die zwangsweise Durchsetzung eines rechtmäßigen Verhaltens im Sinne des § 177 NSchG beispielsweise durch Anwendung unmittelbarer Gewalt gegen Eltern oder Kinder (zwangsweise Zuführung) unverhältnismäßig sein könnte.

Aus Sicht des Landkreis H. gebe es ernstliche Zweifel, ob die von den Eltern gewählte Form des Lernens aktuell das Kindeswohl gefährde, wobei auf den von der Mutter betriebenen "Unschooling-Blog" hingewiesen wurde. Die Eltern hätten zu einem frühen Zeitpunkt angeboten, dass Termine in der Familie stattfinden könnten, um sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Davon sei in der Folge abgesehen worden, da eine Verständigung auf einen Termin nicht zustande gekommen sei. Es sei nicht davon auszugehen, dass im Rahmen eines oder mehrerer Hausbesuche gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung festgestellt und die Eltern durch Beratung des Jugendamts davon überzeugt werden könnten, ihre Kinder in der Schule anzumelden.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Tostedt hat eine Verfahrensbeiständin bestellt und die Kinder E. und L. persönlich, die Eltern sowie die weiteren Beteiligten mehrfach angehört.

In dem Verhandlungstermin vom 30. Januar 2018 vor dem Familiengericht wurde mit den Verfahrensbeteiligten Einvernehmen dahingehend erzielt, dass mit den Kindern E. und L. Lernstandsfeststellungen durchgeführt werden sollten. We...

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