Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung durch Erwerb eines ses mit einer unzulässigen Motorsteuerungssoftware zur Regulierung der Stickoxidwerte, sog. Abschaltvorrichtung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Käufer eines PKW mit Dieselmotor, der auf Grund einer darin verbauten Motorsteuerungssoftware für die unzulässige Regulierung der Stickoxidwerte (sog. Abschaltvorrichtung) mangelbehaftet ist, hat gegen den Hersteller des Fahrzeuges dann keinen Schadensersatzanspruch wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB), wenn er das Fahrzeug erst zu einem Zeitpunkt erworben hat, nachdem der Hersteller die Öffentlichkeit über das Vorhandensein der gesetzeswidrigen Abschaltvorrichtung unterrichtet und zugleich darüber informiert hat, welche Maßnahmen er in Abstimmung mit dem Kraftfahrtbundesamt zur Behebung des Mangels vornehmen wird.

2. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des verwerflichen Verhaltens als sittenwidrig ist der Eintritt des Schadens beim Käufer durch Abschluss des Kaufvertrages. Jedenfalls in Bezug auf Gebrauchtwagenkäufer ab Herbst 2015 ist dieser Schaden nicht mehr durch ein verwerfliches Verhalten der Beklagten in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise herbeigeführt worden, indem dieser der (zuvor getäuschten) Allgemeinheit bekannt gegeben hat, dass die betreffenden Dieselfahrzeuge nachgebessert werden müssen, weil sie nicht uneingeschränkt den Zulassungsbestimmunen entsprechen. Damit hat der Hersteller es jedem einzelnen poten-ziellen Gebrauchtwagenkäufer überlassen, selbst darüber zu entscheiden, ob er ungeachtet des "Abgasskandals" Vertrauen in dessen Dieselfahrzeuge hat oder ob er wegen möglicherweise offen gebliebener Fragen Abstand von dem Kauf ihrer Fahrzeuge nimmt.

3. Die Bekanntgabe eines mit dem Kraftfahrtbundesamt abgestimmten und von diesem entspre-chend freigegebenen Software-Update als Maßnahme zur Fehlerbehebung bei Dieselmotoren des Typs EA 189, stellt auch im Hinblick auf die behaupteten und öffentlich diskutierten negati-ven Auswirkungen des Updates in Bezug auf die Einhaltung der Abgasnorm, des Verbrauchs und der Motorleistung keine vorsätzliche Täuschungshandlung i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB dar.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; StGB § 263

 

Verfahrensgang

LG Hildesheim (Beschluss vom 20.06.2019; Aktenzeichen 7 O 222/18)

 

Tenor

I. Der Verhandlungstermin am 20. Juni 2019 wird aufgehoben.

II. Es wird erwogen, die Berufung durch Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO steht nicht entgegen, dass bereits Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt worden war. Denn die Bestimmung eines Verhandlungstermins ist nicht als "Sperre" für Entscheidungen nach § 522 Abs. 1, 2 ZPO zu verstehen (vgl. Zöller, ZPO, 32. Auflage, zu § 522 Rdnr. 31 m.w.N.).

III. Dem Berufungskläger wird Gelegenheit zur Stellungnahme oder zur Rücknahme der Berufung innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses gegeben.

IV. Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf bis 10.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger erwarb mit Kaufvertrag vom 11. August 2016 von der Beklagten zu 1 einen gebrauchten VW Golf Plus 2,0 TDI zu einem Kaufpreis in Höhe von 11.065,40 EUR (Anlage B1, Bl. 354 GA). In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten zu 2 hergestellter Dieselmotor vom Typ EA 189 verbaut, der unter den sog. VW-Abgasskandal fällt.

Das von dem Kraftfahrt-Bundesamt am 20. Juni 2016 für Fahrzeuge vom Typ VW Golf Plus 2,0 l TDI freigegebene Software-Update (Bl. 234 GA) ließ der Kläger Anfang des Jahres 2017 an seinem Fahrzeug vornehmen.

Unter Hinweis auf den sog. VW-Abgasskandal erklärte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 20. Juni 2017 gegenüber der Beklagten zu 1 den Rücktritt vom Kaufvertrag und verlangte die Rückabwicklung des Vertrages (Anlage K17, Bl. 82 GA). Mit weiterem Anwaltsschreiben vom 20. Juni 2017 verlangte der Kläger von der Beklagten zu 2 Schadensersatz und Abholung des Fahrzeugs (Anlage K19, Bl. 90 GA).

Da die Beklagten diesem Begehren nicht nachkamen, hat der Kläger sie im Klagewege auf Rücktritt bzw. Schadensersatz in Anspruch genommen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht hat der Kläger bei seiner Anhörung angegeben, dass er bei Abschluss des Kaufvertrages Kenntnis vom Einbau der manipulierten Software gehabt habe; er sei aber davon ausgegangen, dass nach Durchführung des Updates alles in Ordnung sei (Bl. 827 GA).

Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 29. August 2018 abgewiesen. Als Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass dem Kläger gegenüber der Beklagten zu 2 unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt die geltend gemachten Zahlungsansprüche zustehen würden. Auch die Beklagte zu 1 könne der Kläger nicht in Anspruch nehmen. Denn sein Rücktritt sei unwirksam, nachdem er Kenntnis von dem Mangel gehabt habe.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner fristgerecht eingelegten Berufung, mi...

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