Leitsatz (amtlich)

1. Die gesetzliche Zuständigkeit des für energiewirtschaftsrechtliche Sachen zuständigen Kartellsenats erstreckt sich analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG auch auf Fragen der Zuständigkeitsbestimmung.

2. Bei der Billigkeitskontrolle von Preiserhöhungen, die ein Energieversorger einseitig ggü. einem privaten Abnehmer vorgenommen hat, richtet sich die sachliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts nicht nach § 102 EnWG.

 

Normenkette

BGB § 315; EnWG §§ 102, 106; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Aktenzeichen 7 O 175/09)

 

Tenor

Das AG Celle ist zuständig.

Die Entscheidung ist gebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen in der Region C./U.. Als solches beliefert sie auch den Beklagten mit Erdgas. Mit der vorliegenden Klage nimmt sie ihn auf Zahlung von offenen Rechnungsbeträgen i.H.v. insgesamt 721,52 EUR zzgl. Zinsen für von ihm im Zeitraum vom 1.1.2004 bis 31.12.2007 verbrauchtes Erdgas in Anspruch. Sie stützt ihren Anspruch auf den mit dem Beklagten geschlossenen Vertrag (§ 433 Abs. 2 BGB).

Der Beklagte hält die ab dem 1.10.2004 einseitig von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen für unbillig. Er vertritt zudem die Auffassung, das von der Klägerin angerufene AG Celle sei sachlich unzuständig, weil gem. §§ 102, 106 EnWG die ausschließliche Zuständigkeit des LG gegeben sei. Die Klägerin tritt dem entgegen; weder kämen Vorschriften des EnWG als Anspruchsgrundlagen in Betracht, noch liege der Frage der Billigkeit eine energiewirtschaftsrechtliche Vorfrage zugrunde.

Das AG Celle hat sich mit Beschluss vom 17.12.2009 (Bl. 176 f.) für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Lüneburg (KfH) verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entscheidung des Rechtsstreits hänge von einer Entscheidung ab, die nach dem EnWG zu treffen sei. Im Rahmen der gem. § 315 Abs. 3 BGB vorzunehmenden Billigkeitskontrolle sei nämlich der in § 1 Abs. 1 EnWG verankerte Zweck der möglichst preisgünstigen Energieversorgung betroffen. Ziel des § 102 Abs. 2 EnWG sei es zudem, eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung durch Konzentration bei einem Spruchkörper - hier der KfH - herbeizuführen. Da die durch das Gericht vorzunehmende Billigkeitsprüfung eine Vielzahl von Verträgen betreffe, habe der Rechtsstreit über den vorliegenden Vertrag hinaus Bedeutung.

Die 7. Zivilkammer (1. KfH) des LG Lüneburg hat sich mit Beschluss vom 8.4.2010 (Bl. 183 f.) ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und die Akten dem OLG Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Zur Begründung hat es auf eine Entscheidung des OLG Celle (4 AR 16/10) Bezug genommen, die einen gleichgelagerten Fall betroffen habe und in der weder eine Einschlägigkeit des EnWG noch die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses angenommen worden sind.

Der 4. Zivilsenat des OLG Celle, der laut Geschäftsverteilungsplan grundsätzlich zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen ist, hat die Akten unter Hinweis auf die Spezialzuständigkeit des Kartellsenats an diesen abgegeben (Bl. 188).

II. Das OLG Celle ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die Entscheidung zuständig, nachdem sich das AG Celle und das LG Lüneburg rechtskräftig für sachlich unzuständig erklärt haben. Funktionell zuständig ist insofern der Kartellsenat, da sich dessen gesetzliche Zuständigkeit für energiewirtschaftsrechtliche Sachen analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG auch auf Fragen der Zuständigkeitsbestimmung erstreckt (vgl. OLG München, Beschl. v. 15.5.2009, AR (K) 7/09, zitiert nach juris, Rz. 5 m.w.N.).

III. Die Zuständigkeitsbestimmung war wie tenoriert zu treffen. Sachlich zuständig ist das AG Celle, da es sich um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten mit einem unter 5.000 EUR liegenden Streitwert handelt, für die eine besondere Zuständigkeit nicht gegeben ist (§ 23 Nr. 1 GVG). Entgegen der Ansicht des AG Celle ist seine Zuständigkeit weder (sachlich) durch § 102 EnWG noch (im Hinblick auf den Verweisungsbeschluss) durch § 281 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen.

1. Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG sind für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, die sich aus dem EnWG ergeben, die LG ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes ausschließlich zuständig. Dasselbe gilt gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 EnWG, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Rechtsfrage abhängt, die nach dem EnWG zu treffen ist. Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben:

a) Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommen Vorschriften des Energiewirtschaftsgesetzes nicht als Anspruchsgrundlagen in Betracht (§ 102 Abs. 1 Satz 1 EnWG). Zwischen den Parteien ist hier vielmehr streitig, ob die Klägerin auf der Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Gaslieferungsvertrages einseitig Preiserhöhungen durchsetzen kann bzw. ob diese der Billigkeit entsprechen; nicht im Streit ist damit eine sich aus dem EnWG ergebende Rechtsbeziehung. Dies sieht of...

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