Entscheidungsstichwort (Thema)

Bußgeldverfahren: Erforderlichkeit einer schriftlichen Urteilsübersetzung. Unterbliebene Bestellung eines Dolmetschers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sind sowohl der nicht ausreichend sprachkundige Betroffene als auch der Verteidiger bei Verkündung des Urteils anwesend, so ist nach § 187 Abs. 2 Sätze 4 und 5 GVG die schriftliche Übersetzung des nicht rechtskräftigen Urteils entbehrlich, und die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist beginnt mit Zustellung des schriftlichen Urteils an den Verteidiger zu laufen.

2. Beruht die Entscheidung des Tatrichters, bei einem der deutschen Sprache nur teilweise mächtigen Betroffenen keinen Dolmetscher zur Hauptverhandlung hinzuzuziehen, allein auf dem Verzicht des Betroffenen und einer Erklärung des Verteidigers, sich für den Betroffenen einzulassen und selbst als Dolmetscher über die notwendigen Sprachkenntnisse zu verfügen, so ist sie ermessensfehlerhaft und begründet einen Verstoß nach §§ 338 Nr. 5 StPO, 185 GVG.

 

Normenkette

StPO § 338 Nr. 5; OWiG § 46 Abs. 1, § 79 Abs. 3 S. 1; GVG §§ 185, 187 Abs. 2 Sätze 4-5

 

Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Bückeburg zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat gegen die Betroffene den Verfall eines Geldbetrages in Höhe von 1.700 € angeordnet (§ 29 a Abs. 2, Abs. 4 OWiG).

Mit ihrer hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde macht die Betroffene den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO i. V. m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG geltend. Sie beanstandet als Verstoß gegen § 185 Abs. 1 Satz 1 GVG i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG, dass die Hauptverhandlung nicht in Anwesenheit eines Dolmetschers geführt worden sei, obwohl der anwesende Geschäftsführer der Betroffenen die deutsche Sprache nicht beherrsche.

Weder die Sitzungsniederschrift noch das schriftliche Urteil verhalten sich zu dazu, ob der Vertreter der Betroffenen der deutschen Sprache nicht mächtig war. Die Generalstaatsanwaltschaft, die die Verfahrensrüge für unzulässig hält, hat dazu dienstliche Erklärungen des Vorsitzenden und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft eingeholt. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hat erklärt, insoweit keine konkrete Erinnerung mehr zu haben. Der Vorsitzende hat unter dem 28. April 2015 erklärt, dass der Geschäftsführer der Betroffenen nur gebrochen Deutsch gesprochen habe und eine Verständigung nur mit Einschränkungen möglich gewesen sei. Auf Frage des Vorsitzenden, ob nun nicht doch besser ein Dolmetscher hinzugezogen werden solle, habe der Verteidiger erklärt, dass dies nicht notwendig sei, weil er sich als Verteidiger für den Geschäftsführer einlassen werde und im Übrigen selbst als Dolmetscher und Übersetzer für Polnisch über entsprechende Sprachkenntnisse verfüge. Der Verteidiger und der Betroffene hätten in der Hauptverhandlung auf die Beiziehung eines Dolmetschers ausdrücklich verzichtet.

II.

Der Senat ist zu einer Entscheidung berufen.

Soweit die Rechtsbeschwerde meint, die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist habe noch nicht zu laufen begonnen, weil der Betroffenen entgegen § 187 Abs. 2 Satz 1 GVG noch nicht das schriftliche Urteil in polnischer Übersetzung zugestellt worden sei (vgl. OLG München StV 2014, 532), ist ihr nicht zu folgen. Denn anders als in dem vom Oberlandesgericht München zu beurteilenden Fall, waren hier sowohl der Geschäftsführer der Betroffenen als auch ihr Verteidiger bei Verkündung des Urteils anwesend, und das schriftliche Urteil ist dem Verteidiger zugestellt worden. In einem solchen Fall greift die Regelung des § 187 Abs. 2 Sätze 4 und 5 GVG, die eine schriftliche Übersetzung des nicht rechtskräftigen Urteils entbehrlich macht (vgl. BGH StraFo 2014, 420). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll damit - der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entsprechend - "die Verpflichtung zur schriftlichen Urteilsübersetzung in der Regel dann nicht greifen, wenn eine effektive Verteidigung des nicht ausreichend sprachkundigen Angeklagten dadurch ausreichend gewährleistet wird, 'dass der von Gesetzes wegen für die Revisionsbegründung verantwortliche Rechtsanwalt das schriftliche Urteil kennt' (Beschluss vom 17. Mai 1983, 2 BvR 731/80 = BVerfGE 64, 135, Absatz-Nummer 56). Es soll in diesem Zusammenhang nicht darauf ankommen, ob ein Fall der notwendigen Verteidigung im Sinne des § 140 StPO vorliegt oder ob der Angeklagte auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 140 StPO einen Wahlverteidiger beauftragt hat. Entscheidend soll allein das bestehende Mandatsverhältnis zu einem Verteidiger in dem betreffenden Strafverfahren sein" (vgl. BT-Drucks 17/12578, S. 12). "Die Beratung mit dem Verteidiger ermöglicht damit auch dem der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtigen Beschuldigten die Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte und gewährleistet ein faires Verfahren. Der Anspruch des Beschuldigten auf umfassende Verdolmetschung umfasst auch die Gespräche mit seine...

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