Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem negativen Kompetenzkonflikt zwischen Spruchkörpern desselben Gerichts ist der zuständige Spruchkörper in analoger Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen, wenn die Zuständigkeit zumindest eines an einem Kompetenzkonflikt beteiligten Spruchkörpers auf einer gesetzlichen Zuständigkeitsregelung (hier: § 119a Abs. 1 Nr. 2 GVG) beruht und die Entscheidung des Konflikts von deren Reichweite und nicht von der Auslegung des Geschäftsverteilungsplans abhängt.

2. Hat ein Spruchkörper in einer solchen Konstellation seine Zuständigkeit durch einen den Parteien bekanntgegebenen Beschluss verneint und die Sache dem nach seiner Auffassung zuständigen Spruchkörper zur Übernahme vorgelegt, ist diese Entscheidung entsprechend § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für den anderen Spruchkörper bindend.

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Aktenzeichen 16 O 181/21)

 

Tenor

Der 14. Zivilsenat erklärt sich für unzuständig.

Das Berufungsverfahren wird dem 1. Zivilsenat zur Übernahme vorgelegt.

 

Gründe

Bei der vorliegenden Streitigkeit handelt es sich nicht um eine Bausache im Sinne von § 119a Abs. 1 Nr. 2 GVG. Der erkennende Senat ist nicht zuständig. In entsprechender Anwendung von § 281 ZPO hatte sich der Senat für unzuständig zu erklären und die Sache dem zuständigen 1. Zivilsenat zur Übernahme vorzulegen.

1. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus notariellen Bauträgerverträgen infolge verspäteter bzw. mangelbehafteter Fertigstellung. Die Klägerin macht Mietausfallschäden, einen Schaden aufgrund abhandengekommener Stühle, Kosten für die Rechtsverfolgung und weitere Schadenspositionen geltend und begehrt die Feststellung der Ersatzpflicht u.a. im Hinblick auf steuerliche Schäden.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Tatbestand des Urteils des Landgerichts Hannover vom 2. Dezember 2022 (Bl. 342ff. d.A.) verwiesen.

Das Landgericht hat mit dem vorerwähnten Urteil der Klage nur zu einem geringen Teil stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Hiergegen wenden sich die Parteien mit ihren Berufungen.

2. Das Verfahren wurde dem Senat von der Eingangsgeschäftsstelle des Oberlandesgerichts als Bausache zugewiesen (vgl. Bl. 413 d.A.).

Mit Verfügung vom 19. Januar 2023 leitete der Senatsvorsitzende die Akte der Vorsitzenden des 1. Zivilsenats zu zwecks Prüfung der Übernahme als Rechtsstreitigkeit aus dem Landgerichtsbezirk Hannover mit dem Buchstaben "H" gemäß Geschäftsverteilungsplan des Oberlandesgerichts Celle für das Geschäftsjahr 2023 I. C., II. (S. 2f., 15 des GVP). Die Parteien würden nicht um die Errichtung oder den Umbau streiten. Wenn aber Gegenstand des Rechtsstreits nicht die Errichtung oder der Umbau eines Bauwerks sei, sondern Folgeschäden wie vor allem Mietausfall, dann dürfte es sich nicht um eine Bausache im Sinne des Geschäftsverteilungsplans handeln.

Mit Verfügung vom 23. Januar 2023 lehnte die Vorsitzende des 1. Zivilsenats die Übernahme des Verfahrens ab. Es handele sich um eine Bausache. Dass die Parteien nur um Folgeschäden streiten würden, ändere nichts daran, dass sich die Mängelrechte nach § 634 BGB richten würden und gemäß § 634 Nr. 4 BGB Schadensersatzansprüche nach den dort genannten Vorschriften geltend gemacht werden könnten. Ziffer B des GVP 2023 stelle auf die rechtliche Natur des Klageanspruchs ab. Das Problem sei dem mit Ansprüchen wegen und aus einer Heilbehandlung befassten 1. Zivilsenat durchaus geläufig.

Mit Verfügung vom 31. März 2023 leitete der Senatsvorsitzende die Akten dem Präsidium des Oberlandesgerichts unter Verweis auf die vorangegangenen Verfügungen vom 19. und 23. Januar 2023 und unter Wiederholung und Vertiefung seiner Ansicht, weshalb es sich nicht um eine Bausache im Sinne des Geschäftsverteilungsplans handele, zur Entscheidung über die Zuständigkeit zu.

Mit Schreiben der Präsidentin des Oberlandesgerichts vom 18. April 2023 wurden die Akten dem Senat wieder zurückgesandt. Das Präsidium sei für die Entscheidung des Zuständigkeitsstreits nicht zuständig. Wegen der Einzelheiten werde auf das Schreiben an das Präsidium vom 5. April 2023 verwiesen. Die Entscheidung eines Zuständigkeitsstreits mit Berührung zu einer gesetzlichen Aufgabenzuweisung (hier § 119a Abs. 1 Nr. 2 GVG) falle in die Zuständigkeit des 18. Zivilsenats.

3. Mit Beschluss vom 24. April 2023 wurden die Parteien darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigte, sich für unzuständig zu erklären und die Sache dem 1. Zivilsenat zur Übernahme vorzulegen. Zur Begründung hat der Senat Folgendes ausgeführt:

"(...)

Im Ergebnis zu Recht hat die Präsidentin die Akten dem Senat zurückgeleitet, weil das Präsidium vorliegend nicht zuständig ist. In der Sache hält der Senat allerdings nach eingehender Erörterung unter Berücksichtigung der Ausführungen der Vorsitzenden des 1. Zivilsenats in der Verfügung vom 23. Januar 2023 und im Schreiben der Präsidentin vom 18. April 2023 an der Bewertung durch den Senatsvorsitzenden fest.

a) Zu Recht hat die Präsidentin des Oberlandesgerichts darauf verwiesen, dass vorliegend die gesetzli...

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