Leitsatz (amtlich)

Dem Senat drängt sich seit Jahren zunehmend der Eindruck auf, dass die vom Land Niedersachsen genutzte Möglichkeit der weitestmöglichen Übertragung von Nachlassangelegenheiten auf den Rechtspfleger (§§ 16, 19 RPflG) dazu geführt hat, dass insbesondere bei den kleineren Amtsgerichten nur noch wenige, dann aber häufig schwierige Nachlasssachen von Richtern zu bearbeiten sind, was zwischenzeitlich auch dazu geführt hat, dass in Abweichung von der früher verbreiteten Praxis immer seltener Amtsgerichtsdirektoren die Nachlasssachen bearbeiten, sondern, wie hier, aufeinander folgend Richter auf Probe, denen es jedenfalls im konkreten Fall an Grundkenntnissen des materiellen Erbrechts und des Verfahrensrechts ebenso zu fehlen scheint wie an der Bereitschaft, sich diese Kenntnisse zu verschaffen, was zu Entscheidungen führt, die das Ansehen der Justiz in der Bevölkerung zu beschädigen geeignet sind (konkret: Erteilung - nicht beantragter - richterlicher Erbscheine, hier u. a. mit dem Inhalt: Die Beteiligte zu 1 "hat den gesamten Nachlass des Erblassers beerbt, mit Ausnahme des Anteils des Erblassers des Grundbesitzes sowie der Guthabenbeträge auf der Bank." Der Beteiligte zu 2 "beerbt den Erblasser bezüglich dessen Guthabenbeträge auf der Bank sowie seines Anteils an dem Grundbesitz").

 

Normenkette

BGB §§ 2353, 2361; FamFG §§ 26, 28 Abs. 2 2. Alt, §§ 352 e, 352; GNotKG § 21 Abs. 1 S. 1; RPflG §§ 16, 19

 

Verfahrensgang

AG Walsrode (Aktenzeichen 9 VI 401/22)

 

Tenor

Die Verfahren 6 W 65/23 und 6 W 70/23 werden miteinander verbunden; das Verfahren 6 W 65/23 führt.

Die Beschwerde vom 12. Mai 2023 wird zurückgewiesen.

Die Beschwerde vom 13. Mai 2023 ist erledigt, nachdem mit Beschluss vom 17. Mai 2023 das Amtsgericht den Erbschein vom 28. April 2023 eingezogen hat.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Gründe

I. Die Beteiligte zu 1 und ihr Ehemann errichteten mit Datum vom 8. Februar 2019 ein handschriftliches und von beiden Eheleuten unterschriebenes Testament, das dem Senat im Original vorliegt (Akten 9 IV 400/22 Amtsgericht Walsrode, S. 2) und in dem es heißt:

Gemeinschaftliches Testament

Wir setzen uns gegenseitig zur alleinigen Erben ein. Der Erstversterbende vermacht dem überlebenden Ehegatten an seinem gesamten Nachlaß den Nießbrauch auf lebenszeit.

Der einzige Erbe nach dem Längstlebenden von uns ist unser Sohn A. (der Beteiligte zu 2). Das Haus und Guthabenbeträge auf der Bank und Sparkonten vorweg erhalten soll.

Datum/Unterschriften

Am 1. September 2022 beantragte die Beteiligte zu 1 beim Amtsgericht Walsrode einen Erbschein dahingehend, dass der am 20. Oktober 1937 geborene und am 18. Mai 2022 in W. verstorbene Erblasser von ihr allein beerbt worden ist.

Die Nachlassrichterin, Richterin auf Probe, wies mit Schreiben vom 7. November 2022 die Beteiligte zu 1 darauf hin, dass ihr Sohn, der Beteiligte zu 2, mit Schreiben vom 8. September 2022 beantragt habe, ihn als Erben bezüglich des Hauses sowie der Guthabenbeträge bei der Bank und auf dem Sparkonto auszuweisen. Das Testament vom 8. Februar 2019 bedürfe daher der Auslegung.

Die Beteiligte zu 1 antwortete mit Schreiben vom 17. November 2022, dass der Erbschein bitte dem Beteiligten zu 2, der unter derselben Anschrift wie sie wohnt, erteilt werden möge. Über die Geldbeträge auf der Bank sei man sich einig, ihr Sohn werde sich bis zum Ende ihres Lebens um sie kümmern. Der Beteiligte zu 2 bestätigte dies im Schreiben vom 20. Dezember 2022.

Mit Beschluss vom 2. Januar 2023 wurden die aufgrund des Antrags der Beteiligten zu 1 zu Erteilung eines Erbscheins erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Der beantragte Erbschein widerspreche aber dem erklärten Willen des Beteiligten zu 2. Die sofortige Wirksamkeit dieses Beschlusses sei auszusetzen und die Erteilung des Erbscheins bis zur Rechtskraft dieses Beschlusses zurückzustellen.

Gegen diesen Beschluss wurde Beschwerde nicht eingelegt.

Mit Datum vom 16. Februar 2023 wurde ein "gemeinschaftlicher Erbschein" ausgestellt:

Der Erblasser sei von den Beteiligten zu 1 und 2 beerbt worden.

Die Beteiligte zu 1 "hat den gesamten Nachlass des Erblassers beerbt, mit Ausnahme des Anteils des Erblassers des Grundbesitzes sowie der Guthabenbeträge auf der Bank."

Der Beteiligte zu 2 "beerbt den Erblasser bezüglich dessen Guthabenbeträge auf der Bank sowie seines Anteils an dem Grundbesitz."

Das Grundbuchamt Walsrode erhielt eine Ausfertigung des Erbscheins, sandte diese aber unter dem 11. April 2023 zurück "mit der Bitte den Erbschein einzuziehen."

Mit Beschluss der Nachlassrichterin vom 13. April 2023 wurde der Erbschein vom 16. Februar 2023 eingezogen. "Die im Erbschein festgelegte Erbfolge ist unrichtig und muss korrigiert werden, da die so festgesetzte Erbfolge nicht mit dem deutschen Erbrecht vereinbar ist."

Gegen den ihm am 21. April 2023 zugestellten Beschluss legte der Beteiligte zu 2 mit Schreiben vom 12. Mai 2023 Beschwerde ein.

Unter dem 28. April 2023 erließ die Nachlassrichterin einen "gemeinschaftlichen Erbschein", won...

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