Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an die Vertretungsvollmacht nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO

 

Leitsatz (amtlich)

Die gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO nachzuweisende Vertretungsvollmacht des Verteidigers muss sich ausdrücklich auf die Abwesenheitsvertretung des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung beziehen.

 

Normenkette

StPO §§ 233-234, 329 Abs. 1 S. 1, § 344 Abs. 2 S. 2, § 411 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Entscheidung vom 22.10.2020; Aktenzeichen 60 Ns 17/20)

 

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 15. kleinen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 22. Oktober 2020 wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).

Der Angeklagte hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

 

Gründe

I.

Mit Urteil vom 22.01.2020 hat das Amtsgericht Hannover -Schöffengericht- den Angeklagten wegen Betrugs in sieben Fällen unter Einbeziehung der Gesamtstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 18.07.2016 (224 Ds 5342 Js 36767/13 (135/13)) und Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren neun Monaten sowie darüber hinaus wegen Betruges in zwei Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt.

Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat die 15. kleine Strafkammer des Landgerichts Hannover mit Urteil vom 22.10.2020 nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen, weil der Angeklagte im Hauptverhandlungstermin ohne Entschuldigung ausgeblieben und auch nicht in zulässiger Weise vertreten worden sei. Der in der Berufungshauptverhandlung anwesende Verteidiger, der dem Angeklagten mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 21.07.2016 und 8.12.2016 beigeordnet wurde, hatte beantragt, die Hauptverhandlung auszusetzen, hilfsweise zu unterbrechen und ein weiteres ärztliches Gutachten zur Frage der Verhandlungsfähigkeit und Vollzugsfähigkeit einzuholen. Der Angeklagte befinde sich seit dem Vortag der Verhandlung im Krankenhaus. Weiter legte der Verteidiger in der Berufungshauptverhandlung eine von dem Angeklagten unterschriebene Vollmacht, die auf den 06.10.2018 datiert, vor. In dieser heißt es zu Ziffer 6 der Vollmacht: "Vertretung und Verteidigung in Strafsachen und Bußgeldsachen (§§ 302, 374 StPO, 73, 43 OWiG) einschließlich der Vorverfahren sowie (für den Fall der Abwesenheit) Vertretung nach § 411 Abs. 2 StPO und mit ausdrücklicher Ermächtigung auch nach § 233 Abs. 1, 234 StPO und Stellung von Straf-und anderen nach der Strafprozessordnung zulässigen Anträgen."

Gegen das Verwerfungsurteil des Landgerichts Hannover vom 22.10.2020 richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß

§ 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

Die gemäß § 333 StPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Revision des Angeklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Wird mit der Revision gegen ein Verwerfungsurteil die Verletzung des § 329 StPO geltend gemacht, muss die entsprechende Verfahrensrüge gem. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO die den Mangel enthaltenden Tatsachen angeben. Das Revisionsgericht muss allein auf Grund der Begründungsschrift prüfen können, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Revision zutrifft (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 63. Aufl., § 344 Rn. 21 m. w. N.). Danach müssen lückenlos die Tatsachen vorgetragen werden, die das Ausbleiben des Angeklagten genügend entschuldigen, oder die zeigen, dass die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO sonst nicht gegeben waren (vgl. u. a. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 16.9.2019, Aktenzeichen: Ss 44/2019, Rn. 11 zitiert nach juris) Die Verfahrensrüge muss dabei insbesondere ohne Bezugnahmen und Verweisungen begründet werden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 63. Aufl., § 344 a.a.O.).

a)

Soweit der Verteidiger mit der Verfahrensrüge die Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes rügt, ist die Aufklärungsrüge nicht in der nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO gebotenen Form erhoben worden und damit unzulässig.

Die Revisionsbegründung teilt den Inhalt des vom Sachverständigen Dr. XXX am 15.10.2020 erstatteten Sachverständigengutachtens zur Frage der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten nicht vollständig und für den Senat nachvollziehbar mit. Die Mitteilung des vollständigen Inhalts des Sachverständigengutachtens ist dabei für die Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten entgegen der Revisionsbegründung auch für die Beurteilung einer weiteren Aufklärungspflicht des Landgerichts hinsichtlich der geltend gemachten akuten Erkrankung des Angeklagten erforderlich. Dem Senat ist es damit nicht möglich, allein anhand des Beschwerdevorbringens zu prüfen, ob insoweit ein Verfahrensfehler vorliegt.

b)

Soweit mit der Revision weiter gerügt wird, dass dem Verwerfungsurteil Feststellungen zugrunde liegen, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren,...

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