Entscheidungsstichwort (Thema)

Wertersatzeinziehung bei Wegfall des Einziehungsgegenstandes durch Tatbestandserfüllung

 

Leitsatz (amtlich)

Verstößt der Täter gegen ein Bereitstellungsverbot aus Art. 2 Abs. 2 der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002 (ABl. L 139 vom 29. Mai 2002, S. 9), indem er einer gelisteten terroristischen Vereinigung Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zukommen lässt, ist darin nicht zugleich die Vereitelung der Einziehung des Einziehungsgegenstands im Sinne des § 74c StGB zu sehen.

 

Normenkette

StPO § 111e; StGB § 74 Abs. 2, § 74c; AWG § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a), § 20 Abs. 1 Nr. 1; EGV 881/2002 Art. 2 Abs. 2

 

Verfahrensgang

OLG Celle (Entscheidung vom 28.05.2020; Aktenzeichen OGS 40/20)

OLG Celle (Entscheidung vom 28.05.2020; Aktenzeichen OGS 41/20)

 

Tenor

Die Beschlüsse des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Celle vom 28. Mai 2020 (OGS 40/20 und 41/20) werden aufgehoben.

Die Anträge der Generalstaatsanwaltschaft Celle vom 14. Mai 2020 auf Anordnung eines Vermögensarrestes werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die der Beschuldigten insofern entstandenen notwendigen Auslagen hat die Landeskasse zu tragen.

 

Gründe

I.

Die Generalstaatsanwaltschaft Celle führt gegen die Beschuldigte ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland sowie Verstoßes gegen ein Bereitstellungsverbot nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG.

Der Beschuldigten wird vorgeworfen, sie habe von Februar 2015 bis zum Dezember 2018 die ausländischen terroristischen Vereinigungen "Jabhat-al Nusra" (JaN) bzw. die Vereinigung "Islamischer Staat" (IS) finanziell als auch materiell unterstützt, indem sie ihrem Sohn W. E. F. in fünf Fällen Geldbeträge über insgesamt 13.362,- EUR habe zukommen lassen sowie gemeinsam mit ihrem weiteren Sohn M. A. E. F. ein geländegängiges Fahrzeug der Marke M. P. im Wert von 5.000 EUR nach S. verbracht und dort ihrem erstgenannten Sohn zur Verfügung gestellt habe.

W. E. F. soll sich zuvor in D. im Raum W. radikalisiert haben und zusammen mit seiner Ehefrau - der deutschen Staatsangehörigen H. E. F. - im April 2014 nach S. ausgereist sein, wo er sich zunächst der JaN und - als diese militärisch unter Druck geriet - zwischen 2014 und 2015 dem IS angeschlossen sowie in ihre Befehlsstruktur eingliedert haben soll, um sich fortan aktiv an der Organisation zu beteiligen mit dem Bestreben, dauerhaft einen islamischen Staat zu errichten. Innerhalb der Organisation des IS habe sich W. E. F. in den von der Organisation gewaltsam angeeigneten Herrschaftsgebiet in S. und I. aufgehalten und dort unter anderem bis zu seiner gesundheitlichen Kampfunfähigkeit als Scharfschütze agiert und soll zuletzt eine führende Rolle im Kampfverband eingenommen haben.

Im Einzelnen soll die Beschuldigte die finanziellen Zuwendungen neben der Verbringung eines Geländewagens am 15. Mai 2015, 29. September 2015 und 29. Februar 2016 von D. aus mithilfe des Zahlungsdienstleisters M.G. i.H.v. 3.400,-, 1.000,- und 462,- EUR sowie im April 2016 und Dezember 2018 über nicht näher bekannte Mittelsmänner i.H.v. 7.500,- und 1.000,- EUR an ihren Sohn getätigt haben, wobei sie zumindest billigend in Kauf genommen haben soll, dass diese letztlich dem Zugriff der vorbezeichneten terroristischen Vereinigungen zugutekamen.

Der Tatverdacht gründet sich im Wesentlichen auf einer Behördenerklärung des Bundesnachrichtendienstes vom 22. November 2018, einem Behördenzeugnis des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 23. November 2017 sowie Ermittlungshandlungen des Landeskriminalamtes Niedersachsen in Form von Finanzermittlungen und Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen gegen die Beschuldigte. Zudem konnte die Beschuldigte bei einer Kontrolle an der g.-t. Grenze gemeinsam mit ihrem Sohn M. A. E. F. als Insassin des vorbezeichneten Geländefahrzeugs festgestellt werden, wobei sie die T. als Reiseziel angegeben hatte.

Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hat der Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts Celle - nachdem bereits zuvor ähnlich gelagerte Beschlüsse ergangen und zunächst wieder aufgehoben worden waren - unter dem 28. Mai 2020 gemäß §§ 111e StPO, 74 Abs. 2, 74c StGB, 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, 20 Abs. 1 Nr. 1 AWG gegen die Beschuldigte in Höhe von 13.362,- EUR sowie in einem weiteren Beschluss von selben Tage gesamtschuldnerisch mit ihrem Sohn M. A. E. F. in Höhe von 5.000,- EUR den Vermögensarrest zur Sicherung der Wertersatzeinziehung angeordnet. Zur Begründung hat der Ermittlungsrichter ausgeführt, dass die vorbezeichneten Handlungen, derer die Beschuldigte verdächtig sei, gegen ein Bereitstellungsverbot nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 lit. a AWG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 (ABl. L 139 v. 29.05.2002, S. 9), zuletzt geändert durch die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 2020/483 der Kommission vom 1. April 2020 (ABl. L.103 v. 3.04.2020) verstoße. Sowohl die JaN als auch der...

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