Leitsatz (amtlich)

1. Für die Entscheidung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO ist der Kartellsenat funktionell zuständig, da sich dessen gesetzliche Zuständigkeit für energiewirtschaftsrechtliche Sachen analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG und für kartellrechtliche Sachen nach § 87 Satz 1, § 91 GWB analog auch auf Fragen der Zuständigkeitsbestimmung erstreckt.

2. Bei der Billigkeitskontrolle von Preiserhöhungen, die ein Energieversorger einseitig gegenüber einem privaten Abnehmer vorgenommen hat, richtet sich die sachliche Zuständigkeit des erkennenden Gerichts nicht nach § 102 EnWG.

3. Eine Zuständigkeit des Kartellgerichts nach § 87 GWB wird nicht begründet, wenn ein kartellrechtlicher Anspruch nicht ernsthaft geltend gemacht wird.

 

Normenkette

BGB § 315; EnWG §§ 102, 106; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6; GWB §§ 87, 91-92

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Aktenzeichen 18 O 147/10)

 

Tenor

Das AG Springe ist zuständig.

Die Entscheidung ist gerichtsgebührenfrei; Auslagen werden nicht erstattet.

 

Gründe

I. Die Klägerin ist ein in Niedersachsen und Sachen-Anhalt tätiges Energieversorgungsunternehmen und beliefert den Beklagten als Haushaltskunden mit Erdgas. Mit der vorliegenden Klage nimmt sie ihn auf Zahlung von offenen Rechnungsbeträgen i.H.v. insgesamt 1.848,41 EUR zzgl. Zinsen für im Zeitraum vom 2.9.2004 bis 28.8.2008 verbrauchtes Erdgas in Anspruch. Sie stützt ihren Anspruch auf den mit dem Beklagten geschlossenen Vertrag (§ 433 Abs. 2 BGB).

Der Beklagte hält die ab dem 1.10.2004 einseitig von der Klägerin vorgenommenen Preiserhöhungen für unbillig. Er vertritt zudem die Auffassung, das von der Klägerin angerufene AG Springe sei sachlich unzuständig, weil gemäß den §§ 102, 106, 108 EnWG die ausschließliche Zuständigkeit des LG und wegen § 87 GWB der Kartellkammer gegeben sei. Dem gegenüber meint die Klägerin, dass weder Vorschriften des EnWG oder des GWB als Anspruchsgrundlagen in Betracht kämen noch der Frage der Billigkeit gemäß § 315 BGB eine energiewirtschaftsrechtliche oder kartellrechtliche Vorfrage zugrunde liege.

Das AG Springe hat sich durch Beschluss vom 17.6.2010 (Bl. 279 f. d.A.) für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Hannover verwiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, im Rahmen der nach § 315 BGB vorzunehmenden Billigkeitskontrolle seien die Vorschriften des EnWG, insbesondere des § 1 EnWG, zu berücksichtigen. Auch bei der Einordnung, ob es sich bei dem streitgegenständlichen Tarif "ErdgasClassic" um einen Tarifkundenvertrag oder einen sog. Norm-Sonderkundenvertrag handele, seien energierechtliche Grundüberlegungen notwendig. Eine sachliche Zuständigkeit des Landgerichts ergebe sich zudem aus § 87 GWB, weil Ansprüche aus der Grundversorgung mit Gas nach § 36 EnWG geltend gemacht würden. Auch sei zu prüfen, ob hinreichend substantiierter Vortrag für eine missbräuchliche Ausnutzung der Marktposition der Klägerin i.S.d. §§ 19 Abs. 4, 20 GWB vorliege.

Die 18. Zivilkammer des LG Hannover hat sich mit Beschluss vom 29.7.2010 ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und die Akten dem OLG Celle zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO vorgelegt. Zur Begründung hat das LG ausgeführt, dass eine Zuständigkeit gem. § 102 EnWG nicht bestehe, da Vorschriften des EnWG weder als Anspruchsgrundlage in Betracht kämen, noch die Entscheidung von einer energiewirtschaftsrechtlichen Vorfrage abhinge. Die Frage, ob es sich vorliegend um einen Norm-Sonderkundenvertrag handele, sei auf Grundlage des Allgemeinen Vertragsrechts zu entscheiden. Auch eine Zuständigkeit gem. § 87 GWB bestehe nicht, da dessen Anwendung zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht erforderlich sei. Dem Verweisungsbeschluss des AG komme keine Bindungswirkung zu, da er als willkürlich anzusehen sei.

Der 4. Zivilsenat des OLG Celle, der lt. Geschäftsverteilungsplan grundsätzlich zur Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO berufen ist, hat die Akten unter Hinweis auf die Spezialzuständigkeit des Kartellsenats an diesen abgegeben.

II. Das OLG Celle ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO für die Entscheidung zuständig, nachdem sich das AG Springe und das LG Hannover für sachlich unzuständig erklärt haben. Funktionell zuständig ist insofern der Kartellsenat, da sich dessen gesetzliche Zuständigkeit für energiewirtschaftsrechtliche Sachen analog § 102 Abs. 1, § 106 Abs. 1 EnWG und für kartellrechtliche Sachen nach § 87 Satz 1, § 91 GWB analog auch auf Fragen der Zuständigkeitsbestimmung erstreckt (vgl. OLG München, Beschluss vom 15.5.2009 - AR (K) 7/09, zitiert nach juris, Rz. 5 m.w.N.; OLG Celle, Beschlüsse vom 27.5.2010 - 13 AR 1/10, WuW/E DE-R 2955, 2956 f. und vom 1.6.2010 - 13 AR 2/10, zitiert nach juris Tz. 8).

III. Die Zuständigkeitsbestimmung war wie tenoriert zu treffen. Das AG Springe ist gem. § 23 Nr. 1 GVG, § 13 ZPO sachlich und örtlich zuständig, da eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit mit einem unter 5.000 EUR liegenden Streitwert gegeben ist, für die keine besondere Zuständigkeitsregelung gilt, und der Be...

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