Entscheidungsstichwort (Thema)

Feststellung einer die medizinische Notwendigkeit nach § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK begründenden mindestens 15%igen Erfolgswahrscheinlichkeit einer In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI)

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Feststellung einer die medizinische Notwendigkeit nach § 1 Abs. 2 S. 1 MB/KK (Musterbedingungen Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung) begründenden mindestens 15%igen Erfolgswahrscheinlichkeit einer In-vitro-Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) ist maßgeblich allein das Behandlungsziel der Herbeiführung einer Schwangerschaft. Nicht zu berücksichtigen ist dabei die statistische Wahrscheinlichkeit des Eintritts einer Geburt (sog. "baby-take-home-Rate"), sofern nicht Umstände vorliegen, die auf ein über die Risiken der Altersgruppe der Frau hinausgehendes Abortrisiko hinweisen.

 

Normenkette

MB/KK 2009 § 1 Abs. 2 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 1184/12)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 04.12.2019; Aktenzeichen IV ZR 323/18)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Bremen, 6. Zivilkammer, vom 19. Januar 2017 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.188,39 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 25. Februar 2012 zu zahlen.

Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 899,40 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. August 2012 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 13 %; der Beklagte trägt 87 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweilige Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision für den Beklagten wird zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht gegenüber dem Beklagten, bei dem er eine private Krankenversicherung mit einem jährlichen Selbstbehalt von 1.160,00 EUR unterhält, die Kosten für vier Behandlungszyklen einer In Vitro Fertilisation (IVF) mit intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI) und anschließendem Embryotransfer (ET) geltend.

Der Kläger leidet an einer Kryptozoospermie, so dass er auf natürlichem Wege keine Kinder zeugen kann. Gemeinsam mit seiner am x.x.1966 geborenen Ehefrau begab er sich deshalb im Oktober 2010 in die o.g. Kinderwunschbehandlung. Für die vier in den Jahren 2010 und 2011 durchgeführten Behandlungszyklen der kombinierten IVF/ICSI-Behandlung, die nicht zu einer Schwangerschaft führten, hat der Kläger die Erstattung von Behandlungskosten in Höhe von insgesamt 17.508,39 EUR zzgl. vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst gesetzlichen Verzugs- bzw. Rechtshängigkeitszinsen gefordert.

Der Kläger hat geltend gemacht, dass eine jedenfalls 15 %ige Erfolgsaussicht der Maßnahmen auch unter Berücksichtigung des Alters seiner Ehefrau bestanden habe, weshalb es sich um nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes medizinisch notwendige und daher erstattungsfähige Heilbehandlungen gehandelt habe.

Der Beklagte hat eine medizinische Notwendigkeit unter Berücksichtigung des Alters der Ehefrau des Klägers in Abrede genommen und im Wesentlichen geltend gemacht, dass bei altersjahrgenauer Ex-ante-Betrachtung die durchschnittlichen Erfolgsaussichten einer Schwangerschaft nach dem maßgeblichen IVF-Register 2009 unterhalb von 5 % gelegen hätten. Entscheidend für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Behandlung sei zudem nicht nur die Wahrscheinlichkeit für den Eintritt der Schwangerschaft, sondern auch deren erfolgreicher Verlauf, weshalb die erhöhte Abortrate in dieser Altersgruppe Berücksichtigung zu finden habe. Konkret habe gegen die Wahrscheinlichkeit für einen Schwangerschaftseintritt die Gewinnung einer nur geringen Anzahl von Eizellen und ein niedriger Anti-Müller-Hormonwert gesprochen. Auch die fehlgeschlagenen Versuche seien erfolgsmindernd zu berücksichtigen.

In Höhe der von dem Kläger in den Jahren 2010 und 2011 nicht verbrauchten Selbstbehalte sei die Klage ohnehin unbegründet.

Auf den Urteilstatbestand wird ergänzend verwiesen.

Das Landgericht hat zur Frage der medizinischen Notwendigkeit gemäß Beweisbeschluss vom 23.5.2013 (Bl. 142 ff d.A.) ein schriftliches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. [...] vom 22.1.2015 (Bl. 183 ff d.A.) nebst Ergänzung vom 24.8.2015 (Bl. 223 ff d. A.) eingeholt und den Sachverständigen im Termin vom 19.5.2016 (Bl. 319 ff d.A.) angehört.

Mit Urteil vom 19.1.2017 hat das Landgericht den Beklagten antragsgemäß verurteilt, an den Kläger 17.508,39 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.2.2012 sowie vorgeric...

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