Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirksamkeit und Angemessenheit einer Vertragsstrafenregelung in einem Mietvertrag für eine noch zu errichtende Gewerbeimmobilie für den Fall des Verzugs der Übergabe der Mietsache

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Individualvereinbarung und keine Allgemeinen Geschäftsbedingung liegt vor, wenn zwischen den Parteien Verhandlungen stattgefunden haben, bei denen beide Parteien die Möglichkeit hatten, ihre Prioritäten deutlich zu machen, bei denen verschiedene Vertragsteile zueinander ins Verhältnis gesetzt wurden und die in Rede stehende vorformulierte Klausel letztlich abgeändert worden ist.

2. Ein Vertragsstrafeversprechen, das für den Fall des Verzugs der Übergabe einer erst noch zu errichtenden Gewerbeimmobilie die Verwirkung einer täglichen Summe vorsieht, ist auch ohne Vereinbarung einer Obergrenze zulässig. Es muss jedoch im Einzelfall geprüft werden, ob eine zeitliche Grenze erreicht ist, jenseits derer sich das Verlangen nach Fortzahlung der Vertragsstrafe nach § 242 BGB als treuwidrig erweisen würde (im Anschluss an BGH, Urteil vom 12.03.2003, XII ZR 18/00, juris Rn. 50 ff.).

3. Das Recht auf Herabsetzung der Vertragsstrafe setzt nach § 343 setzt voraus, dass die verfallene Vertragsstrafe unverhältnismäßig hoch ist. Für die Angemessenheit der Strafe sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere Schwere, Art und Ausmaß der Zuwiderhandlung, Grad des Verschuldens, die wirtschaftliche Lage des Schuldners, die Funktion der Strafe als Druck- und Sicherungsmittel und dass diese den Gläubiger im Falle der Zuwiderhandlung von der Notwendigkeit des Schadensnachweises entheben soll. Allein das Fehlen eines Schadens rechtfertigt die Herabsetzung der Strafe nicht. Entscheidend ist, welchen Schaden der Vertragsbruch hätte herbeiführen können.

 

Normenkette

BGB §§ 138, 242, 305 ff., §§ 313, 339, 343

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Aktenzeichen 6 O 812/20)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 14.10.2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung trägt der Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des nach dem Urteil

vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der

Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 334.684,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit und Verwirkung einer Vertragsstrafe aus einem Gewerberaummietvertrag sowie in der Berufung noch über eine durch den Beklagten zur Aufrechnung gestellte Forderung.

Zwischen den Parteien besteht ein Mietvertrag über Geschäftsräume in der X-Straße in Y. Es handelt sich um eine Gewerbefläche über drei Etagen eines Geschäftshauses, die zum Betrieb eines Textil-Einzelhandelsgeschäfts ("[...]") vom Beklagten an die Klägerin vermietet wird.

Der von den Parteien am 18./23.01.2017 unterzeichnete Mietvertrag enthält u.a. folgende Regelungen:

"Präambel

Baugenehmigung/aufschiebende Bedingung

Die Baugenehmigung liegt zum Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses noch nicht vor. [...] Sollte die Baugenehmigung bis zum 30.05.2016 verweigert oder nicht erteilt worden sein, so kommt der Mietvertrag nicht zustande, er steht insoweit unter einer aufschiebenden Bedingung. [...]

[...]

§ 4 Mietzeit und Kündigung

(1) Das Mietverhältnis beginnt grundsätzlich mit der Übergabe am 30.08.2017. Die Festmietzeit des Mietvertrages beträgt dreißig (30) Jahre, beginnend mit der Übergabe des Mietgegenstandes. Einen früheren Übergabetermin können beide Parteien gemeinsam vereinbaren. Der Mieter ist erstmals nach 10 Jahren Vertragslaufzeit und sodann nach Ablauf jedes fünften Mietjahres zur vorzeitigen Kündigung des Mietvertrags mit einer Kündigungsfrist von 12 Monaten berechtigt. § 18.3 bleibt hiervon unberührt.

Gerät der Vermieter mit der Übergabe der Mietsache in Verzug, ist für jeden Kalendertag eine Vertragsstrafe in Höhe von 4.500,00 EUR verwirkt. Weitergehende Schadensersatzansprüche bleiben unberührt. Die Vertragsstrafe wird auf einen Schadensersatzanspruch angerechnet.

(2) Sollte nicht bis zum 30.11.2017 eine vollständige und ordnungsgemäße Übergabe stattgefunden haben, so kann der Mieter von diesem Mietvertrag zurücktreten, der Rücktritt ist mit einer Frist von 14 Tagen zu erklären. [...]

§ 5 Miete und Nebenkosten

(1) Die monatliche Festmiete beträgt 36.400,00 EUR

zzgl. der gesetzlich geltenden Mehrwertsteuer (derzeit 19%) 6.916,00 EUR

Gesamt: 43.316,00 EUR

(2) [...]

(3) Alle weiteren Nebenkosten - auch für Flächen außerhalb der zum ausschließlichen Gebrauch vermieteten Flächen - sind mit der Miete abgegolten. [...]

§ 6 Zahlung der Miete und Nebenkosten [...]

(2) Mietzahlungsbeginn ist mit Eröffnung, wobei die Eröffnung spätestens 8 Wochen nach vollständiger und ordnungsgemäßer Übergabe zu erfolgen hat. [...]

[...]

§ 8 Mietkaution

Der Mieter leistet an den Vermieter...

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