Entscheidungsstichwort (Thema)

Entzug der elterlichen Sorge trotz Vollmachtserteilung der Eltern an das Jugendamt bei unzureichender Kooperation der Eltern

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eltern können das Jugendamt zur Ausübung der elterlichen Sorge bzw. von Teilbereichen der elterlichen Sorge bevollmächtigen, wodurch sich Maßnahmen nach § 1666 Abs. 3 BGB erübrigen können.

2. Durch eine Vollmachtserteilung an das Jugendamt werden die Eltern als Inhaber der rechtlichen Sorge für ihr Kind nicht aus ihrer Elternverantwortung entlassen. Sie sind daher zur fortdauernden Kommunikation und Kooperation mit dem bevollmächtigen Jugendamt verpflichtet, um eine dem Kindeswohl entsprechende Sorgerechtsausübung zu gewährleisten.

3. Erfüllen die Eltern die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit dem bevollmächtigten Jugendamt nicht, kommen - trotz Vollmachterteilung - Maßnahmen nach § 166 Abs. 3 BGB in Betracht.

 

Normenkette

BGB §§ 1666, 1666a; SGB VIII § 18

 

Verfahrensgang

AG Bremen (Aktenzeichen 68 F 2577/17)

 

Tenor

1. Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bremen vom 17.8.2017 wird zurückgewiesen.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben. Außergerichtliche Auslagen der Beteiligten werden nicht erstattet.

3. Der Antrag des Kindesvaters auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der für seine Tochter X. allein sorgeberechtigte Kindesvater beschwert sich gegen eine Entscheidung des Familiengerichts, wonach ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Beantragung öffentlicher Hilfen für seine Tochter entzogen werden.

Seit Dezember 2014 ist die Familie dem Jugendamt Bremen durch eine Kindeswohlgefährdungsmeldung des von X. seit dem Sommer 2014 besuchten Kindergartens bekannt. Der Kindergarten wies darauf hin, das Kind leide unter massiven Entwicklungsverzögerungen, insbesondere im sprachlichen Bereich. Im Rahmen des seit Dezember 2014 vom Jugendamt in der Familie installierten Krisendienstes fiel auf, dass die Kindeseltern die Hilfe ablehnten und überwiegend keinen Handlungsbedarf bezüglich der dreijährigen X. sahen. Die im Februar 2015 begonnene sozialpädagogische Familienhilfe wurde Ende Februar 2016 aufgrund der massiven Ablehnung durch die Kindeseltern beendet. Im März 2016 beantragte die Kindesmutter, deren grober und gefühlloser Umgang mit ihrer Tochter bisher im Mittelpunkt der Familienhilfe gestanden hatte, dem Kindesvater das alleinige Sorgerecht zu übertragen. Die Kindesmutter hatte sich vom Kindesvater getrennt und ihm das Kind überlassen. Sie hat seitdem keinen Kontakt mehr zu X. aufgenommen. Mit Beschluss vom 4.5.2016 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Bremen dem Kindesvater die Alleinsorge für X. übertragen. Der Kindesvater lehnte weiterhin die Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, insbesondere die von diesem für dringend notwendig gehaltene Installation einer Familienhilfe, ab. Der Kindesvater war über mehrere Monate nicht durch das Jugendamt zu erreichen. Allerdings wurde X. von ihm bzw. seiner Mutter regelmäßig in den Kindergarten gebracht, wobei das Mädchen weiterhin durch Entwicklungsverzögerungen und aggressives Verhalten auffiel. Seit dem Sommer 2016 fiel den Mitarbeitern des Kindergartens auf, dass der Kindesvater ständig eine Sonnenbrille trug und diese auch nicht in den Räumlichkeiten und bei Gesprächen mit Mitarbeitern absetzte. Er mache einen unruhigen, angespannten und häufig leicht aggressiven Eindruck; es bestehe der Verdacht auf Medikamenten- oder Drogenmissbrauch. Zu Gesprächen über X. habe er keine Zeit. Am 5.11.2016 ist die Wohnung des Kindesvaters zwangsgeräumt worden, sodass der Kindesvater seitdem durchgängig keine eigene Wohnung mehr besitzt. Er übernachtet nach seinen Angaben in der Wohnung seines Vaters bzw. seiner Mutter. Letztere äußerte gegenüber Mitarbeitern des Kindergartens in 2016 Sorge hinsichtlich des Gesundheitszustandes ihres Sohnes. Dieser müsse sehr starke Medikamente nehmen, welche wisse sie nicht, und werde dadurch zunehmend aggressiv.

Im November 2016 beantragte das Jugendamt Bremen beim Amtsgericht Bremen, dem Kindesvater die elterliche Sorge für X. gemäß § 1666 BGB wegen Kindeswohlgefährdung zu entziehen. In dem hierdurch eingeleiteten einstweiligen Anordnungsverfahren (Geschäftsnummer des AG: 68 F 5988/16 EASO) fand am 1.12.2016 eine mündliche Anhörung statt, in der der Kindesvater einräumte, gelegentlich, wohl einmal wöchentlich, "Gras" zu rauchen. Er erklärte sich schließlich mit der Durchführung einer Haaranalyse, der einmal wöchentlichen Abgabe einer Urinprobe und der Zusammenarbeit der vom Jugendamt zu installierenden Familienhilfe einverstanden. Daraufhin wurde das einstweilige Anordnungsverfahren für erledigt erklärt. Die Situation sollte im Hauptsacheverfahren (Geschäftsnummer des AG: 5989/16 SO) innerhalb von drei Monaten überprü...

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