Leitsatz (amtlich)

Bei Vorabentscheidungen über die Rechtswegzuständigkeit gem. § 17a Abs. 2 und 3 GVG gilt auch für die Fälle, in denen keine sog. doppelrelevanten Tatsachen vorgetragen werden, die sog. Schlüssigkeitstheorie. Die zur Klärung der Zuständigkeit (hier ArbG oder ordentliche Gerichtsbarkeit) angebotenen Beweise sind danach nicht zu erheben, vielmehr sind insoweit die bloßen Behauptungen des Klägers für die Entscheidung zugrunde zu legen.

 

Normenkette

GVG § 17a Abs. 2-3

 

Verfahrensgang

LG Bremen (Beschluss vom 05.11.2007; Aktenzeichen 4 O 411/07)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 27.10.2009; Aktenzeichen VIII ZB 42/08)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 15.11.2007 wird der Beschluss des LG Bremen - 4. Zivilkammer - vom 5.11.2007 aufgehoben.

Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wird für zulässig erklärt.

Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahrens wird auf 2.681,56 EUR festgesetzt (1/5 von 13.407,82 EUR).

 

Gründe

I. Die Parteien schlossen am 2./16.9.2002 einen "Handelsvertretervertrag", in welchem dem Beklagten eine Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter mit dem nominellen Status als "freier Handelsvertreter" auf Provisionsbasis eingeräumt wurde. Aufgrund einer Kündigung des Beklagten vom 25.9.2003 wurde das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien mit Wirkung zum 30.11.2003 beendet.

Mit vorliegender Klage macht die Klägerin gegen den Beklagten Ansprüche auf Rückzahlung von Provisionen sowie eines Darlehens, insgesamt 13.407,82 EUR nebst Zinsen, geltend.

Zwischen den Parteien besteht u.a. Streit darüber, ob oder inwieweit der Beklagte bei seiner Tätigkeit tatsächlich selbständig war, wie die Klägerin behauptet, oder in eine hierarchisch gegliederte Organisationsstruktur eingegliedert war, wie der Beklagte behauptet. Der Beklagte ist der Meinung, er habe bei der Klägerin die Stellung eines Arbeitnehmers innegehabt. Zumindest hätten auf ihn die Merkmale des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG (Einfirmenvertreter i.S.d. § 92a Abs. 1 HGB, geringes Einkommen von nicht mehr als 1.000 EUR monatlich im Durchschnitt) zugetroffen.

Das LG Bremen - 4. Zivilkammer - hat mit Beschluss vom 5.11.2007 nach § 17a GVG den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das ArbG Bremen verwiesen. Es hat ausgeführt, für die Entscheidung sei gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3a ArbGG ausschließlich die Arbeitsgerichtsbarkeit zuständig, so dass gem. § 13 Abs. 1 GVG die ordentliche Gerichtsbarkeit nicht berufen sei. Der Beklagte gehöre dem in der Vorschrift des § 5 Abs. 3 Satz 1 ArbGG angesprochenen Personenkreis an und sei bereits kein Handelsvertreter i.S.d. § 84 Abs. 1 HGB.

Gegen diesen ihr am 9.11.2007 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 15.11.2007 sofortige Beschwerde eingelegt, der das LG nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfe- und Vorlagebeschluss vom 22.2.2008).

II. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist statthaft (§ 17a Abs. 4 Satz 3 GVG i.V.m. § 567 Abs. 1 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig; insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 und 2 ZPO).

Die Beschwerde ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des LG ist nicht die Zuständigkeit der ArbG nach §§ 2 Abs. 1 Nr. 3a, 5 Abs. 3 ArbGG, sondern vielmehr der ordentliche Rechtsweg (§§ 12, 13 Abs. 1 GVG) gegeben.

1. Der Beklagte war nach dem Vorbringen der Klägerin, das für die Entscheidung der Rechtswegfrage zugrunde zu legen ist, Handelsvertreter i.S.d. § 84 Abs. 1 HGB, ohne nach § 84 Abs. 2 HGB als Angestellter zu gelten. Die Voraussetzungen, unter denen es dem Beklagten nach dieser Vorschrift an der Selbständigkeit gemangelt haben könnte, lagen nach klägerischem Vortrag nicht vor. Die Klägerin bestreitet nämlich die Eingliederung des Beklagten in eine hierarchisch gegliederte Organisationsstruktur mit festen Abläufen und verweist insoweit auf den vorgelegten, unstreitig dem Beschäftigungsverhältnis der Parteien zugrunde liegenden Handelsvertretervertrag vom 02./16.9.2002, der den Beklagten als selbständigen Handelsvertreter (Abs. 2.1.), der seine Tätigkeit frei gestalten kann und grundsätzlich keinen Weisungen unterliegt (Abs. 6.3.), auswies.

Der schriftlich abgeschlossene Handelsvertretervertrag bietet keine Anhaltspunkte, die auf eine Unselbständigkeit nach § 84 Abs. 2 HGB hinweisen könnten. Nach § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ist selbständig, wer im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. So war es vertraglich zwischen den Parteien geregelt; auch eine Gesamtschau des Vertragsverhältnisses ergibt nichts anderes. Gegen die Selbständigkeit sprechen weder das Konkurrenzverbot nach Abs. 7.2. (dazu näher unten zu 2.) noch die Schulungsangebote (7.8.) oder die Verpflichtung zur Bestandspflege (7.6.).

Ein Wettbewerbsverbot beeinträchtigt für sich genommen grundsätzlich nicht die Weisungsfreiheit des Handelsvertreters. Wäre es so, dann erübrigte sich die Regelung des § 92a HGB schon deswegen,...

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