Entscheidungsstichwort (Thema)

Heilung von Mängeln bei der Zustellung elektronischer Dokumente

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kann bei Zustellung eines Urteils in beglaubigter elektronischer Abschrift nach § 169 Abs. 4 ZPO die Authentizität der das Urteil beglaubigenden elektronischen Signatur des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle nicht beim Zustellungsempfänger bestätigt werden, hat das die Unwirksamkeit der Zustellung zur Folge.

2. Die Unwirksamkeit der Zustellung kann aber durch den tatsächlichen Zugang der elektronischen Abschrift des Urteils beim Zustellungsempfänger nach Maßgabe des § 189 ZPO geheilt werden.

 

Normenkette

ZPO § 169 Abs. 4, §§ 189, 233 S. 1, § 522 Abs. 1 S. 2

 

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin vom 12.11.2019 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist in dem Berufungsverfahren gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 02.10.2019 (Az.: 8 O 152/17) wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

II. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 02.10.2019 (Az.: 8 O 152/17) wird als unzulässig verworfen.

III. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Aufnahme der Kosten der Streithelferin. Diese trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

IV. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 21.818,68 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz wegen Beschädigung eines in ihrem Eigentum stehenden Grundstücks aufgrund der von der Beklagten ausgeführten Bauarbeiten in Anspruch.

Das Landgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Zustellung des klagabweisenden Urteils vom 02.10.2019 an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin wurde am 07.10.2019 durch die zuständige Geschäftsstellenbeamtin beim Landgericht Göttingen auf elektronischem Wege gemäß § 169 Abs. 4 ZPO veranlasst (vgl. Bl. 218 d. A.). Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat mit dem an das Landgericht Göttingen elektronisch übermittelten Empfangsbekenntnis vom 08.10.2019 den Erhalt der beglaubigten Abschrift des Urteils vom 02.10.2019 bestätigt (vgl. Bl. 222 f. d. A.). Mit an das Landgericht Göttingen gerichtetem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 07.11.2019, beim Landgericht Göttingen eingegangen am 08.11.2019, hat die Klägerin Berufung gegen das Urteil eingelegt (vgl. Bl. 239 ff. d. A.). Diesen Schriftsatz hat das Landgericht Göttingen mit Telefax vom 12.11.2019 an das Oberlandesgericht Braunschweig weitergeleitet (vgl. Bl. 260 ff. d. A.). Mit Schriftsatz vom 12.11.2019 (Bl. 275 ff. d. A.), beim Oberlandesgericht Braunschweig eingegangen am selben Tag, hat die Klägerin die Berufung erneut eingelegt und zugleich vorsorglich beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die an ihren Prozessbevollmächtigten erfolgte Urteilszustellung unwirksam gewesen sei. Hierzu behauptet sie, dass die in die Urteilsabschrift eingefügte Unterschrift der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle als Signatur ungültig gewesen sei. Nach Abgabe des Empfangsbekenntnisses und Öffnung der Anlage sei in dem Adobe Acrobat Reader DS Programm die Meldung erschienen, dass mindestens eine Unterschrift ungültig sei. Dabei handle es sich um die Unterschrift der Urkundsbeamtin. Daher lasse das vom Landgericht Göttingen übermittelte elektronische Dokument mangels einer qualifizierten Signatur nicht erkennen, dass es von der dafür verantwortlichen Person übermittelt worden sei.

Vorsorglich führt die Klägerin zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrages aus, dass von ihrem Prozessbevollmächtigten für die Fertigung der Berufungsschrift die im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens bereits verwendeten Schriftsätze als Vorlage verwendet und beim Versenden der Berufungsschrift über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) die Schaltfläche "Antworten" benutzt worden sei, sodass der Schriftsatz irrtümlich an das erstinstanzliche Gericht übersandt worden sei. Die Klägerin habe indes darauf vertrauen dürfen, dass das Landgericht als das mit der Sache bereits befasste Gericht den bei ihm eingereichten, aber für das Oberlandesgericht bestimmten Berufungsschriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang und damit ebenfalls über beA innerhalb der Berufungsrist an das Oberlandesgericht weiterleiten werde.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Berufung unzulässig sei, da sie nach Ablauf der Berufungsfrist beim Berufungsgericht eingegangen sei. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, da die Klägerin nicht habe erwarten dürfen, dass der kurz vor Ablauf der Berufungsfrist beim Landgericht eingegangene Berufungsschriftsatz rechtzeitig an das Oberlandesgericht weitergeleitet werde.

Mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 28.05.2020 (Bl. 322 ff. d. A.) wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Berufung wegen der Versäumung der Berufungsfrist nicht zulässig sein dürfte. Die ggf. vorhandene Unwirksamkeit der Urteilszustellung sei nach Maßgabe des § 189 ZPO gehei...

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